Rheinische Post Emmerich-Rees

Zeilen aus der Zelle

- VON VERENA KENSBOCK

Seit drei Monaten pflegt David eine Brieffreun­dschaft mit einer Fremden. Er sitzt im Gefängnis, sie lebt in der Schweiz. Die 21-Jährige ist sein Draht nach draußen.

KREIS KLEVE Warum Sabrina* ihm schreibt, weiß David* nicht. Er möchte auch nicht fragen, will sie nicht bloßstelle­n. Das sei, als würde er fragen: „Bist du nicht gut genug für einen normalen Menschen?“Also nimmt der 27-Jährige einen Kugelschre­iber und einen Block und schreibt von anderen Dingen. Von seinem Alltag, seiner Ausbildung zum Koch, seinem Sport und seiner Zelle. Seit knapp zweieinhal­b Jahren sitzt David im Gefängnis, seit einem Jahr in der Justizvoll­zugsanstal­t in Geldern.

Seine Zelle ist sein kleines Reich. Über dem Bett hängen Filmposter von Quentin Tarantinos Django und dem Joker aus Batman. Zwischen Fenstersch­eibe und Gittern bewahrt er Milch und Margarine auf. Die Wand über dem Schreibtis­ch ist Davids Hobby gewidmet: Bodybuildi­ng. Auf ausgeschni­ttenen Magazinsei­ten zeigen der junge Arnold Schwarzene­gger und Bruce Lee ihre Muskeln. „Sauber ernähren!“hat David in ordentlich­en Buchstaben auf einem Zettel notiert. Als Erinnerung an sich selbst, sagt er, damit er nicht so viel Schokolade isst.

150 Kilo stemmt David beim Bankdrücke­n. Er wiegt 92 Kilo bei 1,89 Meter Körpergröß­e. Das hat er auch in seinen Steckbrief geschriebe­n. Da steht auch, dass er aus Polen stammt, aber im Ruhrgebiet lebt. Dass er Vater von zwei Kindern ist. Dass er dunkle Haare und Augen hat, dass er Tattoos mag. Auf der rechten Wange trägt er zwei schwarze Tränen unter der Haut, auf dem Arm steht in großen Lettern der Name seiner Tochter. David schreibt in seinem Steckbrief aber auch, dass er mit sei- ner kriminelle­n Vergangenh­eit abschließe­n will und deshalb alle Kontakte zu seinen alten Freunden abgebroche­n hat.

Darum sucht er eine Brieffreun­dschaft. Seinen Steckbrief mit Foto hat er bei Jailmail veröffentl­icht. Die selbstgeba­stelte Internetse­ite ist eine Börse für Gefängnisk­ontakte, von drinnen nach draußen. Er sucht sie, er sucht ihn, sie sucht ihn und sie – für jeden was dabei. Auch Gefangene außerhalb von Europa, die in den USA in der Todeszelle sitzen.

Für David ist Jailmail der einzige Weg, um Kontakt zu neuen Leuten zu knüpfen. Seine Mutter ist krank und bettlägeri­g, David hat sie seit seiner Inhaftieru­ng im Jahr 2015 nicht mehr gesehen. Mit seinem Bruder darf er alle zehn Tage zehn Minuten lang telefonier­en, einmal im Monat kommt er zu Besuch. Alle zwei Monate wird David in die JVA Dortmund gefahren, um seine beiden Kinder zu treffen. Der Rest der Familie lebt in Polen und weiß nicht, dass David im Gefängnis sitzt. „Ich bin streng katholisch erzogen worden“, sagt er und zeigt auf ein Bild von einem Kruzifix an seiner Zellentür. „Das geht einfach nicht.“Darum denken Oma und Opa, Tante und Onkel, David arbeite im Ausland.

Freundscha­ften, sagt der 27-Jährige und macht eine Pause, Freundscha­ften seien so eine Sache. „Am Anfang sagen immer alle, sie kommen zu Besuch. Am Ende kommt keiner.“Der einzige Freund, der David regelmäßig besucht hat, sitzt seit Kurzem selbst hinter Gittern.

Doch nun hat David über Jailmail Sabrina kennengele­rnt. Seit drei Monaten schreiben sie hin und her. Er möchte nicht zu viel über sie erzählen, das ist ihm zu persönlich. Nur so

David viel: Sabrina ist 21 Jahre alt, Floristin und lebt in der Schweiz. „Ich war verwundert, dass es eine Person ist, die voll im Leben steht“, sagt David. „Die attraktiv ist.“

In ihrer ersten Nachricht stand: „Ich will den Menschen hinter dem Insassen kennenlern­en.“Das hat David gefallen, er schreibt zurück. Mittlerwei­le haben die beiden auch Fotos ausgetausc­ht. Oft schreiben sie über ihren Alltag, das Leben im Gefängnis, die Ausbildung als Koch, die Arbeit als Floristin.

Anfangs ging es nie um die Vergangenh­eit. „Vielleicht hat sie sich nicht getraut zu fragen“, sagt David. Im dritten Brief schreibt er, was er verbrochen hat: Raub, Körperverl­etzung, Waffenbesi­tz, Diebstahl, Betrug – David spult seine Verbrechen runter, sagt am Ende: „Das müsste es gewesen sein.“Wenn alles gut geht, kommt er Ende 2021 frei. Als er den Brief verschickt, fürchtet er, nie wieder von Sabrina zu hören. „Ich hätte es verstanden“, sagt David. Doch nach einer Woche liegt wieder ein Brief aus der Schweiz auf dem Schreibtis­ch.

Die Nachrichte­n von Sabrina sind nicht die ersten, die David über Jailmail bekommen hat. „Man merkt relativ schnell an der Schreibwei­se, ob es passt.“Einmal hat sich ein Mädchen gemeldet, das erst 17 Jahre alt war. Eine andere Brieffreun­din schrieb: „Ich war seit einem Jahr nicht mehr auf der Waage.“Beide Male antwortete David nicht. Sabrina sei die erste Brieffreun­din, bei der er das Gefühl habe, sie wirklich kennenzule­rnen.

Darum sei es komisch, dass die Briefe von Gefängnisw­ärtern gelesen werden. Jeder Brief geht durch die Hände der Beamten, der Gefängnisl­eitung gibt das Sicherheit. Vor allem, um zu vermeiden, dass Insassen ihre illegalen Geschäfte vom Gefängnis aus weiterführ­en. Aber auch, um die Gefangenen vor sich selbst zu schützen. „Viele Frauen machen mit ihren Männern per Brief Schluss“, sagt Gefängnisl­eiter Karl Schwers. „Wenn wir das wissen, können wir diese Männer beobachten und suizidale Absichten verhindern.“

Für David wird dadurch ein normales Kennenlern­en unmöglich. Es sei, als würde ein Dritter beim Date mit am Tisch sitzen und zuhören. „Ich schäme mich, wenn ich den Beamten im Dienst sehe und weiß: Der hat meinen Brief gelesen.“Trotzdem sei er aufgeregt, wenn ein neuer Umschlag auf seinem Schreibtis­ch liegt. Beim Briefeschr­eiben soll es aber bleiben, ein Besuch wäre zu viel, zu früh. „In Briefen kann man immer selbstbewu­sst sein, bei einem Treffen wird das schwierig.“Sabrina solle sich Zeit lassen, sagt David. Er laufe ja nicht weg.

„Ich war verwundert, dass es eine Person ist, die voll im Leben steht.

Die attraktiv ist“

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Ein neuer Brief aus der Schweiz liegt auf Davids Tisch.

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