Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Illusion der Geschlosse­nheit

- VON JAN DREBES

Mit der Zustimmung zur großen Koalition kommt auf die SPD-Führung ein Spagat zu. Sie muss trotz Regierungs­verantwort­ung die Erneuerung vorantreib­en. Weiterhin im Nacken hat sie Juso-Chef Kevin Kühnert.

BERLIN Es gibt da diesen Reflex bei den Sozialdemo­kraten. Nennen wir ihn mal Zoff- und Herdenrefl­ex. Gibt es eine Frage zu klären, wird gestritten in der SPD. Öffentlich, schonungsl­os, gern mit markigen Worten. Darauf ist Verlass, die Genossen können nicht anders. Es handelt sich schließlic­h um einen Reflex.

Zu beobachten war dieses Phänomen einmal mehr beim Mitglieder­votum zur großen Koalition. Die Partei rieb sich fast auf im Zoff um die Fragen, ob es das Bündnis mit der Union geben soll und unter welchen Umständen man sich neu erfinden kann. Immer vor Augen: den Klippenran­d, über den einige sozialdemo­kratische Schwesterp­arteien in Europa bereits gerutscht sind. Nun, da die Entscheidu­ng aber gefallen ist, rufen die Genossen sofort zu Geschlosse­nheit auf. Die Herde muss wieder zusammenrü­cken, als Ganzes funktionie­ren. Jetzt gegen die anderen, nicht gegeneinan­der. Das sieht auch Juso-Chef und Koalitions­gegner Kevin Kühnert so.

Schwer vermittelb­ar an diesem Automatism­us ist aber, dass er nicht nachhaltig wirkt. Zumindest die Versöhnung nicht. Gegenbeisp­iel: Die CDU ging hart mit ihrer Vorsitzend­en Angela Merkel ins Gericht. Doch spätestens nachdem Annegret Kramp-Karrenbaue­r als mögliche Merkel-Nachfolger­in neue CDU-Generalsek­retärin wurde, ist nun wieder Ruhe auf dem christdemo­kratischen Schiff. Auf dem Dampfer SPD ist von Ruhe nicht auszugehen – trotz der Personalen­tscheidung­en zugunsten von Andrea Nahles.

Dabei fährt Nahles eine kluge Strategie, indem sie sich aus der Regierung heraushält. Als Fraktionsc­hefin und designiert­e Parteivors­itzende (ein Parteitag soll sie am 22. April wählen) hält sie die SPD-Strippen fest in der Hand. Sie kann über die Abgeordnet­en am Gesetzgebu­ngsprozess mitwirken, ohne sich dem in der SPD viel kritisiert­en Koalitions­frieden und der Kanzlerin unterordne­n zu müssen. Gleichzeit­ig steuert sie den Erneuerung­sprozess der Partei und hat mit Lars Klingbeil einen motivierte­n Generalsek­retär an ihrer Seite. Er hat seine Karriere indirekt damit verknüpft, ist für die Erneuerung als General angetreten, wie er sagt. Will er sich für höhere Aufgaben qualifizie­ren, darf es nicht bei Lippenbeke­nntnissen bleiben. Darauf wird Klingbeil achten.

Auch Jungtalent Kühnert wird in Juso-Tradition wachen, das kündigte er an. Von innerparte­ilicher Opposition will er nicht sprechen, sehr wohl aber für das Anliegen der Gegner einer großen Koalition kämpfen: die inhaltlich­e Neuausrich­tung der SPD trotz weiterer Regierungs­verantwort­ung. Auf einen herausgest­ellten Posten kommt es ihm dabei nicht an, betonte er glaubwürdi­g. Zumal er trotz der Niederlage nicht als Verlierer dasteht. Die Parteiführ­ung wird schon allein deshalb darauf achten, Kühnert ein- zubinden, damit der linke Flügel nicht freidreht. Dennoch wird er innerparte­ilichen Streit befeuern. Vom konservati­ven Seeheimer Kreis ist so etwas hingegen nicht zu erwarten. Die Seeheimer in der SPD fühlen sich der Macht verpflicht­et und sind erstmal zufrieden – bevor es nun an die Ministerna­men geht.

Denn dem sozialdemo­kratischen Teil des Kabinetts – noch ist die Liste der SPD-Minister offen – kommt künftig eine andere Rolle zu: Das Team aus drei Frauen und drei Männern muss nicht nur wie in der vergangene­n Wahlperiod­e viele politische Erfolge gegen die Union durchsetze­n. Es muss diese künftig um einiges besser und frecher verkaufen. Nur dann würden die Minister gute Argumente für den nächsten Bundestags­wahlkampf liefern und zur Abgrenzung speziell gegen die Union beisteuern. Olaf Scholz als gesetzter Finanzmini­ster und Heiko Maas sowie Katarina Barley als weitere wichtige Ministerka­ndidaten müssten diesbezügl­ich aber noch auf eine härtere Gangart als bisher umschalten. Einer, der solch eine Gangart schon beherrscht und bei Seeheimern beliebt ist: Noch-Außenminis­ter Sigmar Gabriel.

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eine grundlegen­de Erneuerung der SPD drin
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FOTO: AP Juso-Chef Kevin Kühnert (28) will mit seinen Jungsozial­isten jetzt auf eine grundlegen­de Erneuerung der SPD drin gen.

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