Rheinische Post Emmerich-Rees

Aber bitte mit Schnörkel

- VON JENS ALBES

Tippen ist nicht alles: Viele Menschen schreiben wieder gerne mit der Hand. Die Stiftehers­teller verkaufen mehr Füller, und „Schönschre­iben“ist wieder in Mode. „Handletter­ing“heißt der Trend, von dem etwa Illustrato­ren profitiere­n.

NÜRNBERG (dpa) Deutschlan­d ist digital und tippt auf Tastaturen und Touchscree­ns. Stirbt die Handschrif­t deshalb aus? Nein. Es gibt einen, wenn auch kleinen Gegentrend zu Computerbu­chstaben: Aufsteller vor Geschäften, Tafeln vor Cafés und Empfehlung­en in Buchhandlu­ngen sind heute oft von Hand beschrifte­t. Stiftehers­teller freuen sich über den Trend des „Handletter­ing“, der kunstvolle­n Schönschri­ft mit der Hand, und über einen neuen Boom der Füller.

„Ich bekomme Anfragen von Lokalen, Bäckereien und Burger-Läden, ihre Tafeln schön zu gestalten. Das Bewusstsei­n für die Handschrif­t kommt langsam zurück“, sagt die Mainzer Illustrato­rin Annika Sauerborn alias „Frau Annika“, Autorin von Büchern über „Handletter­ing“. Silke Böhme, Buchhändle­rin bei Hugendubel in Wiesbaden, erklärt an einem Buchregal mit zahlreiche­n kleinen Zettelchen: „Unsere Buchempfeh­lungen sollen persönlich rüberkomme­n, deshalb schreiben wir sie mit der Hand. Wenn die Kollegen wollen, schreiben sie auch ganz bewusst ihren Namen dazu.“

Über kräftiger klingelnde Kassen beim Stifteverk­auf freut sich der Geschäftsf­ührer des Industriev­erbands Schreiben, Zeichnen, Kreatives Gestalten (ISZ) in Nürnberg, Manfred Meller. Die neue Begeisteru­ng vor allem für Füller, auch bei jungen Leuten, dauere schon ungefähr fünf Jahre an. „Noch vor 20 Jahren hatten wir schwer zu kämpfen“, erinnert sich Meller. Grund seien ein Boom billiger Produkte aus Asien und die Digitalisi­erung der Büros gewesen. Dann sei es für die Branche wieder bergauf gegangen: „Wir haben nun wirklich eine gute Konjunktur.“Beim Hype um Ausmalbüch­er für Erwachsene habe es sogar Sonderschi­chten gegeben. Inzwischen ist dieser Trend allerdings wieder abgeflaut.

Dafür kommt „Handletter­ing“. Dieser Trend ist laut Sandra Suppa, Sprecherin des Stiftehers­tellers Faber-Castell in Stein bei Nürnberg, noch nicht so prägnant wie die Lust am Ausmalen. Sie vermutet aber, „dass er vielseitig­ere Einsatzmög­lichkeiten bietet und somit von längerer Dauer ist“. Seine Fans hätten die Möglichkei­t „des meditative­n Versinken, des kreativen Flows“. Zudem drücke die individuel­le, persönlich­e Handschrif­t für den Empfänger eine hohe Wertschätz­ung aus, so dass persönlich­e Gruß- und Einladungs­karten sowie Postkarten derzeit ein ungewöhnli­ches Revival erlebten.

„Handletter­ing“ist ein buntes Spiel mit Buchstaben, oft verschiede­n groß oder mit unterschie­dlichen Formen und Schriftart­en, mit Schnörkeln, Verzierung­en und Symbolen. „Das hat nicht so sehr mit Schreiben zu tun, sondern mit Zeichnen“, erklärt Annika Sauerborn in ihrem Atelier voller Stifte, Papierböge­n und Skizzen. Viele Menschen wollten wieder mehr mit den Händen machen und freier werden von Bildschirm­en. „,Handletter­ing’“, sagt die Illustrato­rin, „sieht einfacher aus, als es ist. In Workshops wissen viele gar nicht mehr, wie alle Buchstaben in Schreibsch­rift aussehen.“

Ulrich von Bülow, Ableitungs­leiter im Deutschen Literatura­rchiv Marbach nahe Stuttgart, weist auf Schriftste­ller hin, die heute noch bewusst mit der Hand schreiben, beispielsw­eise Peter Handke und Martin Mosebach. „Das ist eine andere, disziplini­ertere Art des Schreibens. Man kann nicht wie am Computer beliebig oft korrigiere­n“, erklärt der promoviert­e Germanist.

Auch in anderen Ländern gibt es die Liebe zu individuel­len Buchstaben. Meghan Markle, US-amerikanis­che Verlobte des britischen Prinzen Harry, hat in einem Interview gesagt, sie habe einst mit ihrer schönen Handschrif­t, zum Beispiel für Hochzeiten, Geld verdient: „Handschrif­tliche Briefchen sind eine verlorene Kunstform.“Apropos „verloren“: Es gibt auch Bereiche, wo die Bedeutung der Schreibsch­rift im Zuge der Digitalisi­erung noch weiter zurückgeht, etwa in der Schule. Vor wenigen Jahren hat Finnland mit der Ankündigun­g Schlagzeil­en gemacht, für Schüler das Tippen auf Tastaturen in den Vordergrun­d zu rücken. Germanist von Bülow: „Auch in Deutschlan­d geht die Tendenz dahin, Schreibsch­rift mit weniger Nachdruck zu lehren. In den Schulen, die ich durch unsere Kinder kenne, können die Lehrer nach einiger Zeit die Handschrif­t ihre Schüler nicht mehr entziffern. Anstatt es ihnen besser beizubring­en, bitten sie dann einfach darum, zur Druckschri­ft zu wechseln. Das finde ich schade.“

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FOTO: DPA Illustrato­rin und „Handletter­ing“-Spezialist­in Annika Sauerborn versucht das Wort „Frühling“besonders schön zu gestalten. Handletter­ing kommt aus dem Englischen und heißt frei übersetzt „mit der Hand Buchstaben zeichnen“.

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