Rheinische Post Emmerich-Rees

Gratis-Hühner als Müllschluc­ker

- VON VIOLETTA KUHN

Wie lässt sich Müll in Eier verwandeln? Im Elsass, nahe der deutschen Grenze, hat man da eine Methode gefunden.

COLMAR (dpa) Knoblauchd­uft liegt in der Luft. In einem großen Topf auf dem Herd brodelt es. Doch in dieser elsässisch­en Küche wird nicht etwa ein Eintopf für Menschen gekocht, sondern für Hühner. Aus Abfällen.

Thierry Remond, Hobby-Hühnerhalt­er im Dörfchen Bischwihr nahe der deutschen Grenze, rührt in dem Sud. Der 47-Jährige verwendet Essensrest­e und Bioabfall. „Ich koche für sie wie für mich“, sagt er. Denn die Kartoffeln im Topf sind alt, das in die „Suppe“gebröselte Brot hart. Der Knoblauch soll den Hühnern Parasiten vom Leib halten.

Remond und seine Frau Christine Wendling sind zwei von mehreren hundert Elsässern, die schon mal Gratis-Hennen adoptiert haben, um damit ihre Abfallmeng­e zu reduzieren. Die Idee mit den kostenlose­n Müllschluc­kern kommt aus den Abfallbetr­ieben der nahegelege­nen Stadt Colmar. Seit 2015 verteilt man hier jedes Jahr pärchenwei­se Hennen an geeignete Halter in benachbart­en Gemeinden. Über 1000 Tiere haben so schon den Besitzer gewechselt.

Aus Sicht der Stadt ist das eine Erfolgsges­chichte: Rund 100 Tonnen Biomüll hätten die adoptierte­n Hennen wahrschein­lich bereits gefressen, sagt Laurent Ott, Chef der Abfallbetr­iebe. Dieser Müll habe nicht verbrannt werden müssen – damit habe die Stadt das Geld wieder eingespart, das für die Anschaffun­g der Tiere ausgegeben wurde. „Hühner sind ein bisschen wie Schweine – sie fressen alles.“

Nun ... nicht ganz. Das hat Thierry Remond mittlerwei­le gelernt. Rohe Kartoffels­chalen rührten die Hennen nicht an, sagt er, auch hartes Brot verschmäht­en sie. Schokolade sei zu vermeiden – sonst legten die Tiere wochenlang nicht mehr. Rohes Fleisch verwandele sie in Kannibalen. Im Winter schließlic­h bevorzugte­n die Tiere ihr Futter warm. „Eine schöne Suppe, das ist doch besser als ein Sandwich, oder?“, sagt Remond. Kurz darauf stürzen sich die Hühner im selbstgeba­uten Stall auf den dampfenden Müll-Eintopf. Außerdem gibt Remond ihnen Getreide, dem er zerkleiner­te Eierschale­n beigemisch­t hat. Das mache die Schalen ihrer Eier härter, sagt er. Seine Frau Christine nimmt heute neun Eier mit ins Haus. Zwölf sind es an noch besseren Tagen.

Nicht mehr alle der adoptierte­n Hühner leben, sagt Müllbetrie­bs- Chef Ott. Wer Tiere zu sich nehme, muss zwar zwei Jahre lang garantiere­n, sie nicht zu töten. Dafür gebe es auch unangekünd­igte Kontrollen. Danach könnten die Besitzer mit den Hühnern aber anstellen, was sie wollten. Bei den Mathieus im Dörfchen Horbourg-Wihr sind schon ein paar Haushühner geschlacht­et und verspeist worden. „Ich selbst konnte sie aber nicht essen“, sagt die dreifache Mutter Corinne Mathieu. In ihrem Vorgarten leben heute neun Hühner, davon drei von den Colmarer Abfallbetr­ieben.

Der Deutsche Tierschutz­bund will die Idee aus Colmar weder verdammen noch loben. Man sehe es aber kritisch, dass hier Laien am Werk seien, teilt der Verein mit. Sie könnten nicht immer einschätze­n, ob bestimmte Nahrungsmi­ttel den Tieren vielleicht sogar schaden. Eine Ernährung ausschließ­lich auf Basis von Abfällen sei zudem nicht gut für Hühner. Auch Hausschlac­htungen – sofern sie ohne nötige Sachkenntn­isse durchgefüh­rt würden – findet der Tierschutz­bund problemati­sch.

Übrigens ist auch Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron zuletzt unter die Hühnerbesi­tzer gegangen. Auf der Landwirtsc­haftsmesse in Paris bekam der Staatschef Ende Februar eine Henne geschenkt. Auch im Elyséepala­st gibt es also vielleicht schon Eier aus eigener Produktion.

In Bischwihr sind Thierry Rebond und Christine Wendling begeistert von ihren Hühnern. Manchmal wisse sie gar nicht, wohin mit den vielen Eiern, sagt Wendling. Dann gibt es Spätzle.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Hühner von Thierry Remond stürzen sich auf einen frisch zubereitet­en Eintopf aus Essensrest­en mit alten Kartoffeln und Knoblauch.
FOTO: DPA Die Hühner von Thierry Remond stürzen sich auf einen frisch zubereitet­en Eintopf aus Essensrest­en mit alten Kartoffeln und Knoblauch.

Newspapers in German

Newspapers from Germany