Rheinische Post Emmerich-Rees

Einer von uns beiden muss nun gehen

- VON STEVEN WIESNER

Paris und Madrid streiten heute um den Einzug ins Champions-League-Viertelfin­ale. Das bedeutet auch, dass eines der beiden Fußball-Imperien schon Anfang März aus dem Turnier fliegt. Und das ist auch gut so.

DÜSSELDORF/PARIS Vorgezogen­e Endspiele haben in der Regel eine negativ besetzte Bedeutung. Weil aus demjenigen, der ein solches Duell zu einem solchen ernennt, meist das Bedauern spricht, dass das Beste diesmal nicht zum Schluss kommt. Vor dem Armdrücken der beiden Kraftprotz­e Paris St. Germain und Real Madrid im heutigen Achtelfina­l-Rückspiel (20.45 Uhr, Sky/Hinspiel: 3:1 für Real) zeigt sich auch Welttraine­r Carlo Ancelotti ernüchtert. „Es ist schade, dass zwei so große Klubs schon im Achtelfina­le aufeinande­rprallen“, sagt Ancelotti, der in beiden Klubs tätig war. Doch der ergraute Italiener liegt mit dieser Auslegung genauso falsch wie mit so mancher Bayern-Aufstellun­g im Spätsommer. Denn tatsächlic­h ist es ein Glücksfall, dass eines dieser Fußball-Imperien die Runde der letzten acht nur noch im Fernsehses­sel erleben wird und die Saison zu einem Zeitpunkt für beendet erklären muss, an dem sie eigentlich erst richtig losgehen sollte.

Es scheint, als wolle die Champions League damit eine Lektion erteilen und sagen: Mich zu gewinnen, ist nicht planbar. Man kann sich mit einem üppigen Scheckheft zwar in eine aussichtsr­eiche Position bringen, aber selbst mit dem Zusammenba­llen einer Weltauswah­l keine Garantie auf den Henkelpott erkaufen. Denn wo die Besten der Besten aufeinande­rtreffen, entscheide­n Faktoren, auf die man keinen Einfluss mehr hat. Es braucht Spielglück. Es braucht Glück bei Schiedsric­hterentsch­eidungen. Es braucht Losglück. Und es braucht Glück bei der Verletzung­sprophylax­e. Zumindest Letzteres hatten Paris und Madrid nicht, was auch der Ausfall vom Pariser Unterschie­dsspieler Neymar fürs Rückspiel deutlich macht.

Die Champions League verwandelt sich damit in einen schlecht gelaunten Rodeo-Stier, der sich nicht zähmen lässt und die Cowboys, die sich einbilden, ihn beherrsche­n zu können, überfrüh aus dem Sattel katapultie­rt. Nicht umsonst hat es seit der Modifizier­ung des früheren Landesmeis­ter-Turniers 1992 ein Vierteljah­rhundert gedauert, bis es mit Real zum ersten Mal überhaupt einer Mannschaft gelungen ist, zweimal hintereina­nder keinen anderen Mitstreite­r an das Tafelsilbe­r zu lassen. 13 verschiede­ne Titelträge­r in 25 Jahren belegen, wie umfangreic­h der Kreis an potenziell­en Kandidaten ist – und wie absurd der Versuch, die Bewertung von Erfolg und Misserfolg allein nach dem Abschneide­n in diesem Wettbewerb vorzunehme­n.

Es ist jener Maßstab, den ebenso deutsche Experten (und irgendwie auch der FC Bayern selbst) bei Pep Guardiola und dessen Wirken in München angelegt hatten. Nach drei Halbfinal-Niederlage­n in drei Jahren wurde das spanische Trainer-Genie trotz etlicher Bundesliga­Rekorde und schönheits­preisverdä­chtiger Spielweise zum Gescheiter­ten erklärt. Nach der bayerische­n Stagnation unter Ancelotti und Guardiolas Galavorste­llungen mit Manchester City wurde er wieder zurückgewü­nscht. Noch weiter drohen sie jetzt in Madrid zu gehen, wo in Zinedine Zidane just jener Trainer angezählt wird, der die Vereinsvit­rine seit seinem Antritt vor zwei Jahren um acht Trophäen erweitert hat. Zidanes Nachfolger wäre der 15. Real-Trainer binnen 18 Jahren. Egal, ob Zidane in Madrid oder Unai Emery in Paris – der Trainer, der verliert, scheidet nicht nur aus dem Turnier aus, sondern mit großer Wahrschein­lichkeit auch aus seinem Arbeitsver­hältnis. Obgleich man an einem Schwergewi­cht des Weltfußbal­ls gescheiter­t ist und nicht an Malmö, Maribor oder Moskau.

Es ist eine perfide Entwicklun­g, die sich auch in Deutschlan­d Bahn gebrochen hat. Allein in der laufenden Saison hat es schon jetzt acht Trainerent­lassungen in der Bundesliga gegeben, deren zehn in der 2. Bundesliga und nochmal elf in der 3. Liga. Von den 56 Profiklubs hat also im Schnitt jeder zweite seinen Trainer gefeuert. Real Madrid und Paris St. Germain sind zwei Gebilde, die das Leitbild für diese Kultur maßgeblich entwerfen und das Tempo vorgeben. Seit Fußballver­eine nicht mehr einfach nur Vereine sind, sondern Unternehme­n, sind aus Zielen Erwartunge­n geworden. Nur noch die wenigsten wollen verstehen, dass es im Sport kein Drehbuch gibt, in das man sich einfach ein Happy End basteln kann. Real und Paris wollen genau diese Botschaft nicht akzeptiere­n. Die Botschaft, dass man nicht alles haben kann, was man haben will. Die Botschaft, mit der jedes Kind konfrontie­rt wurde, als es im Alter von sechs Jahren im Toys“R“Us vor einem prall gefüllten Spielzeug-Regal stand.

Es wird Zeit, dass diese Botschaft auch unter den Privilegie­rtesten der Szene Schule macht. Und am besten nicht erst im Endspiel.

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