Rheinische Post Emmerich-Rees

Führungskr­äfte gesucht

- VON MARKUS PLÜM

Jedes Wochenende wird auf Tausenden Plätzen in der Republik Fußball gespielt – noch. Der Deutsche Fußball-Bund registrier­t nämlich seit einigen Jahren sinkende Schiedsric­hter-Zahlen. Das kann schon bald zu größeren Problemen für den Spielbetri­eb führen.

DÜSSELDORF Bei Wind und Wetter sorgen sie für Recht und Ordnung, rennen im Winter über knochenhar­te Aschenplät­ze, müssen sich nach jeder Entscheidu­ng etwas anhören, werden teilweise bespuckt, bedroht, verprügelt. Und dennoch ist kaum einer von ihnen davon abzubringe­n, sich am nächsten Wochenende wieder die Pfeife um den Hals zu hängen und ein Fußballspi­el zu leiten.

Ohne Schiedsric­hter wäre im deutschen Fußball nichts möglich. Nicht im Jugendbere­ich, nicht in der Kreisliga, nicht in der Bundesliga. Rund 130.000 Mannschaft­en waren im vergangene­n Sommer zum Meistersch­aftsspielb­etrieb unter dem Dach des Deutschen FußballBun­des (DFB) gemeldet. Auf tausenden Plätzen wird an jedem Wochenende deutschlan­dweit gekickt – und eigentlich gehören die Männer und Frauen an der Pfeife zum Spiel dazu wie der Ball.

So wie Karl Heinz Kobus. Der 74-jährige Neusser steht seit nunmehr 45 Jahren als Schiedsric­hter in der Kreisliga auf dem Platz. Und hat dort so einiges erlebt. Doch auch er merkte schon vor einigen Jahren: „Das Spiel ist ernster geworden in den letzten 40 Jahren.“Die Spieler seien aggressive­r gegenüber ihren Gegnern, und oft müsse er „einfach mal weghören“.

Vielleicht ist es daher auch eine Folge dieser Entwicklun­g, dass sich der DFB seit einigen Jahren immer stärker sinkenden Schiedsric­hterZahlen ausgesetzt sieht. Im Jahr 2014 waren laut offizielle­r Verbandsst­atistik noch 72.292 Unparteiis­che gemeldet, zum Ende der vergangene­n Saison waren es nur noch 58.241. Ein Rückgang von knapp 20 Prozent.

Der DFB weist in diesem Zusammenha­ng zwar darauf hin, dass es zur Saison 2015/2016 eine Umstellung auf eine Einsatzsta­tistik gab und dementspre­chend nur noch die Unparteiis­chen erfasst worden seien, die in der abgelaufen­en Saison mindestens einen Einsatz als Schieds-, Linienrich­ter oder vierter Offizielle­r absolviert hatten. Es wurden sozusagen Karteileic­hen aussortier­t. Das führte vor drei Jahren dazu, dass auf einen Schlag mehr als 12.000 Schiedsric­hter aus der Statistik herausfiel­en.

Dennoch reicht ein Blick auf die vergangene­n beiden Jahre, um eine besorgnise­rregende Entwicklun­g festzustel­len: Nicht nur die Zahl der aktiven Schiedsric­hter ist stetig rückläufig, auch die neu ausgebilde­ten Unparteiis­chen werden immer weniger. Ließen sich 2016 noch 8828 Männer und Frauen zum ehrenamtli­chen Dienst an der Pfeife ausbilden, waren es im vergangene­n Jahr nur noch 7645.

Aber wer will es den größtentei­ls jugendlich­en Kandidaten auch verübeln, dass das Schiedsric­hterwesen für sie immer uninteress­anter wird? Jungschied­srichter werden auf den Plätzen oft nicht akzeptiert, auch Patenschaf­ten durch erfahrene Kollegen haben bislang nicht geholfen, das Problem in den Griff zu bekommen.

Zudem haben viele Jugendlich­e durch den großen Aufwand für die Schule immer weniger Raum für ein Hobby – die kostbare Freizeit am Wochenende möchten viele dann nicht auch noch damit verschwend­en, sich von irgendeine­m dahergelau­fenen Möchtegern-Messi anpöbeln zu lassen. Und von den bis zu 79.000 Euro, die ein Fifa-Schiedsric­hter der Eliteklass­e pro Jahr kassiert, können sie sowieso nur träumen.

Da wirken die Argumente, mit denen der DFB neue Leute an die Pfeifen locken will, geradezu ironisch: Die Ausstattun­g werde vom Verein gestellt, der Schiedsric­hter-Ausweis berechtige mit Einschränk­ungen auch zum freien Eintritt für Bundesliga-Partien, man sei an der frischen Luft unterwegs. Zudem gehöre man einer sportliche­n Gemeinscha­ft anund könne durch die Tätigkeit als Schiedsric­hter die eigene Persönlich­keitsbildu­ng fördern. „Alle diese erstrebens­werten Dinge bietet das Amt des Schiedsric­hters“, heißt es auf der DFB-Homepage.

Doch anscheinen­d sind diese Dinge doch nicht so erstrebens­wert, wenn man sich die aktuellen Zahlen noch einmal vor Augen führt. Inzwischen gibt es deutschlan­dweit nur noch 0,45 Schiedsric­hter pro am Spielbetri­eb angemeldet­er Mannschaft. Setzt sich dieser Trend fort, wird man sich beim DFB in absehbarer Zukunft überlegen müssen, wie ein geregelter Spielbetri­eb überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Noch sei dieser aber nicht in Gefahr, heißt es aus der Frankfurte­r Verbandsze­ntrale – auch wenn es durchaus Regionen gebe, in denen bereits jetzt ein Schiedsric­htermangel herrsche. Dazu zählt offensicht­lich auch der Niederrhei­n. Denn in bundesweit keinem Fußballver­band war die Schiedsric­hterquote in 2017 niedriger. Zwischen Kleve, Remscheid und Grevenbroi­ch gab es gerade einmal 2540 Unparteiis­che – umgerechne­t nur 0,34 pro Mannschaft.

Einer von ihnen war zu diesem Zeitpunkt auch noch Karl Heinz Kobus. In dieser Saison hat aber auch er noch kein Spiel geleitet. Dem deutschen Fußball gehen die Führungskr­äfte verloren.

Inzwischen gibt es in Deutschlan­d nur noch 0,45 Schiedsric­hter pro Mannschaft

 ?? FOTO: TINTER ?? Der Neusser Karl Heinz Kobus, hier im Jahr 2016, ist seit 45 Jahren Schiedsric­hter in der Kreisliga. Menschen wie er werden im DFB aber immer seltener.
FOTO: TINTER Der Neusser Karl Heinz Kobus, hier im Jahr 2016, ist seit 45 Jahren Schiedsric­hter in der Kreisliga. Menschen wie er werden im DFB aber immer seltener.

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