Als die Schweden die Welt eroberten
Nur Abba und Roxette waren erfolgreicher – vor 25 Jahren erschien das Debütalbum von Ace Of Base. Damit begann der Aufstieg Schwedens zur Pop-Weltmacht, von dem heute auch Katy Perry und Taylor Swift profitieren.
Ohne diesen kaputten Kassettenspieler wäre die Geschichte der Popmusik anders verlaufen. Im Sommer 1992 erhält der schwedische Produzent Denniz Pop Post. „Mr Ace“heißt der Song auf dem Band. Pop setzt sich in sein Auto, schiebt die Kassette rein – und ist nicht beeindruckt. Der Mann hat Ahnung, einige Monate zuvor hat er dem Zahnarzt Alban Uzoma Nwapa alias Dr. Alban dabei geholfen, mit „It’s My Life“einen internationalen Hit zu landen. Doch als er die Kassette wieder aus dem Abspielgerät holen möchte, bleibt sie stecken. Fortan bleibt ihm nichts anderes übrig, als Tag für Tag diesen Song zu hören, bis er doch etwas daran findet und beschließt, ihn zu produzieren. Im Studio wird aus „Mr Ace“nach vielen Änderungen „All That She Wants“. Wenige Wochen später ist der Song ein internationaler Hit, die Interpreten Ulf Ekberg und die drei Geschwister Jonas, Malin und Jenny Berggren werden als Ace Of Base berühmt. Den Namen hat sich Ekberg ausgedacht, als er eines Tages aufwachte und im Fernsehen das Video zu Motörheads Hit „Ace Of Spades“sah.
Auch das Debütalbum „Happy Nation“räumt vor 25 Jahren im Frühling 1993 ab. Die Mischung aus Pop und Dance treibt die Entwicklung des Eurodance voran, und weil bei den Aufnahmen nebenan eine Reggae-Band spielt, wird dieser Reggae-Einschlag das Markenzeichen von Ace Of Base. Einige Monate später knackt die Platte unter dem Namen „The Sign“sogar den US-Markt, Platz 1, und wird zum meistverkauften Debütalbum aller Zeiten. Dabei enthält das Album viel Füllmaterial – so ziemlich alles, was nicht als Single ausgekoppelt wird. Der Song, der so heißt wie die Platte, wird der zweite große Hit der Band, auch daran schraubt Denniz Pop herum. Ulf Ekberg beruft sich später in einem Interview auf große Vorbilder: „Als Kraftwerk 1981 ihr Album Computerwelt veröffentlichten, wurde mir klar, dass man Musik mit Technologie verbinden und Erfolg damit haben kann – und das war, was ich machen wollte.“Für Pop-Verhältnisse währt der Erfolg von Ace Of Base fast eine halbe Ewigkeit. Die Alben zwei und drei sind zwar nicht ansatzweise so erfolgreich wie das Debüt, doch für Top-10-Platzierungen reicht es noch immer. Erst danach läuft die Karriere aus. Die einzigen schwedischen Musiker, die weltweit mehr Platten verkauft haben als sie, sind Roxette und Abba.
Viel wichtiger aber: „Happy Nation“leitet den Aufstieg Schwedens zur globalen Popmacht ein. Damit sind nicht einmal die einheimischen Interpreten gemeint, die es danach mal kürzer, mal länger in die Charts schaffen, wie Rednex, Eagle Eye Cherry, A*Teens und Avicii. Der Erfolg von „All That She Wants“gibt Denniz Pop die Möglichkeit, auch Hits für britische und amerikanische Künstler zu schreiben und zu produzieren – was vorher Briten und Amerikaner selbst übernommen haben.
Denniz Pop, bürgerlich Dag Krister Volle, hat keine musikalische Ausbildung, aber ein Bauchgefühl und sowieso ist Songschreiben für ihn Teamarbeit. Und dieses Team schreibt Songs anders als die Amerikaner und Briten. Zunächst kommen Melodie und Refrain, erst zum Schluss die Texte und der Gesang. Das ist ungewöhnlich. In keinem anderen Staat auf dem europäischen Festland sprechen die Leute so gut Englisch, aber doch nicht so gut, dass sie tiefsinnige Texte schreiben können. Die haben sich den Songs anzupassen, sind einfach und lassen sich gut mitsingen.
Mit 35 Jahren stirbt Denniz Pop an Krebs, aber vorher schafft er zwei Dinge: Er trägt zum Erfolg der damals noch völlig unbekannten Backstreet Boys bei, womit er zeigt, dass er nicht nur einheimischen Künstlern wie Ace Of Base und Rednex zum Durchbruch verhelfen kann – und er stellt einen Mann ein, der bis heute Nummer-1-Hits schreibt: Martin Sandberg will mit seiner Glam-Metalband It’s Alive bloß sein Album in Pops Studio aufnehmen, als dieser sein Talent als Songschreiber bemerkt.
Dieser Sandberg hat eine musikalische Ausbildung, er liebt heimlich Popmusik, obwohl er Metaller ist, Depeche Mode und die Bangles, und 1999 schreibt er als Max Martin seinen ersten von 22 Nummer-1Hits: „Baby One More Time“. TLC sollen den Song aufnehmen, lehnen aber ab, weil sie pausieren – also gelingt Britney Spears damit ihr Durchbruch. Später arbeitet er mit Taylor Swift, Avril Lavigne, Pink, Usher und Justin Timberlake zusammen, er schreibt „I Kissed A Girl“von Katy Perry.
Davon aber erfährt kaum jemand, weil Martin, der Mann mit der Metaller-Frisur, die Öffentlichkeit meidet. Interviews gibt er seit Jahren nicht mehr. Nicht aus Arroganz, eher aus Bescheidenheit und weil Pop von der Illusion lebt, der Interpret auf der Bühne habe den Song selbst geschrieben und nicht ein Team im Hintergrund.
Diese Songwriter-Teams
Songschreiber Ulf Ekberg beruft sich
später in einem Interview auf große Vorbilder: Kraftwerk
sind heute in der Popmusik üblich und sorgen bei Kritikern immer wieder für Naserümpfen, weil sie doch lieber ein Genie vor Auge haben als ein Kollektiv. Und noch liegen die Genies tatsächlich vorne. Zwei Menschen haben noch mehr Songs als Max Martin geschrieben, die es an die Spitze der amerikanischen Charts schafften: John Lennon und Paul McCartney.