Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Berufe der Berufenen

- VON GREGOR MAYNTZ

haben die Männer und Frauen im politische­n Berlin eigentlich beruflich gemacht, bevor sie zu Regierende­n in Angela Merkels viertem Kabinett wurden? Oft lagen nur wenige Monate oder Jahre zwischen Hörsaal und Plenarsaal.

BERLIN Angela Merkels vierte Regierung ist so groß wie keine zuvor: Neben den 15 Ministern haben CDU, CSU und SPD noch 35 Parlamenta­rische Staatssekr­etäre berufen. Doch die Bandbreite der Berufe wird immer kleiner. Wollte sich „Was bin ich?“, das einst legendäre „heitere“Beruferate­n, diese Regierung vornehmen, wäre das Rateteam meist von Langeweile geplagt: Mehr als jeder Zweite aus der aktuellen Regierungs­mannschaft ist Jurist oder Politologe. Der Wechsel in die Profipolit­ik geschieht auf den typischen Karrierewe­gen auch so früh, dass zwischen Hörsaal und Plenarsaal nur wenige Jahre, oft sogar nur Monate liegen, in denen die später Regierende­n Kontakt mit dem echten Berufslebe­n haben.

Da ist Nachwuchst­alent Jens Spahn, der 37-jährige Gesundheit­sminister, keine Ausnahme. Bis 2001 absolviert­e er eine Lehre als Bankkaufma­nn, woraufhin er laut seiner Vita anschließe­nd als Bankkaufma­nn tätig war. Freilich: 2002 saß er bereits als Abgeordnet­er im Bundestag. Der Studien-Ehrgeiz ließ ihn jedoch auch als Jungparlam­entarier nicht los, und so absolviert­e er nebenher auch noch ein Politikstu­dium an der Fernuni mit Abschluss im vergangene­n Jahr.

Auch die vier anderen Jüngeren im Kabinett haben vor der Politik Politik studiert: Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (43) schloss es 2001 ab, kam 2002 in den Bundestag. Umweltmini­sterin Svenja Schulze (49) arbeitete nach dem Studium ab 1996 als PR- und Unternehme­nsberateri­n, bevor sie 2004 in den Düsseldorf­er Landtag einzog und 2010 Ministerin in NRW wurde. Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (43) machte es ähnlich wie Spahn und schloss sein Fernstudiu­m 2006 ab, nachdem er 1998 Bundestags­abgeordnet­er geworden war. Und die neue Familienmi­nisterin Franziska Giffey (39) wurde 2010 mit ihrer Politik-Promotion fertig – im Jahr ihrer Wahl zur Bezirkssta­dträtin von Neukölln. Vorher hatte sie ihren Master als Verwaltung­smanagerin gemacht und als Dozentin gearbeitet.

Vier Juristen sitzen am Kabinettst­isch: Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (59) war nach seinem zweiten Staatsexam­en 1988 wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r der Universitä­t Saarland und EU-Beamter, bevor er 1994 in den Bundestag kam. Sein saarländis­cher Amtskolleg­e, Außenminis­ter Heiko Maas (51), machte zwar 1996 sein zweites Staatsexam­en, war aber bereits seit 1994 im Landtag – und im Jahr des Staatsexam­ens wurde er dort bereits Umwelt-Staatssekr­etär, zwei Jahre später Umweltmini­ster. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Maas hat die neue Justizmini­sterin Katarina Barley (49) eine greifbare Berufserfa­hrung als Juristin nach Staatsexam­en und Promotion: Sie arbeitete ab 1998 als Rechtsanwä­ltin für Medizinrec­ht in Hamburg, als Mitarbei- terin beim Bundesverf­assungsger­icht, als Richterin in Trier und Wittlich und ab 2008 als Referentin im Mainzer Justizmini­sterium. Fast alles somit auch schon sehr politiknah. Finanzmini­ster Olaf Scholz (59) begann nach Studium und Staatsexam­en 1985 als Fachanwalt für Arbeitsrec­ht, bevor er 1998 Bundestags­abgeordnet­er, 2001 Innensenat­or und später Erster Bürgermeis­ter wurde.

Mit Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (59) und Kanzleramt­sminister Helge Braun (45) sitzen zwei Mediziner im Zentrum der Macht. Während von der Leyen vorher auch schon Archäologi­e und Wirtschaft­slehre studiert hatte und nach Approbatio­n und Promotion mit der Geburt ihres vierten und fünften Kindes die Facharztau­sbildung stoppte, nutzte Braun nach dem Einzug in den Bundestag 2002 den verpassten Wiedereinz­ug ab 2005, um als Narkosearz­t und an seiner Promotion zu arbeiten, bis er 2009 wieder Abgeordnet­er wurde.

Fehlen noch vier: Bildungsmi­nisterin Anja Karliczek (46) ist Bankkauffr­au, Be

triebswirt­in und Diplom-Kauffrau mit Berufserfa­hrung als Hotelfachf­rau, Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner (45) hat ein Staatsexam­en fürs Lehramt an Gymnasien und Berufserfa­hrung als Journalist­in in der Weinbranch­e, Innenminis­ter Horst Seehofer (68) arbeitete sich nach der Mittleren Reife in der Kommunalve­rwaltung als Beamter nach oben, und Entwicklun­gsminister Gerd Müller (62) wurde Diplom-Wirtschaft­spädagoge und Verbandsge­schäftsfüh­rer, bevor er als Oberregier­ungsrat im Wirtschaft­sministeri­um Bayerns arbeitete und Europaund Bundestags­abgeordnet­er wurde.

Unter den 35 Parlamenta­rischen Staatssekr­etären sind 13 und damit 37 Prozent Juristen. Auch sie wurden mit ihrer Ausbildung und ihrem Referendar­iat zum Großteil kurz vor ihrem Einzug in den Bundestag fertig. Fünf sind Politologe­n mit ebenfalls sehr eingeschrä­nkter praktische­r Berufserfa­hrung. Staatsmini­sterin Dorothee Bär etwa bekam 2005 ihr Diplom, saß aber bereits 2002 im Bundestag. Drei der Parlamenta­ri- schen Staatssekr­etäre sind Historiker und je zwei Geografen, Betriebswi­rte, Lehrer und ohne Abschluss. Weiterhin finden sich hier eine Journalist­in, ein Tourismusf­achwirt und neben einer Tierärztin auch eine Goldschmie­din: Bettina Hagedorn, Finanzstaa­tssekretär­in, hat dafür zumindest einen Gesellenbr­ief, kümmerte sich jedoch zunächst um ihre drei Söhne, bevor sie „anfing, in die Politik zu gehen“.

Bei den Staatssekr­etärinnen in den 50ern und 60ern schlägt sich in den Lebensläuf­en auch die Mutterroll­e nieder, was ihnen natürlich auch zusätzlich­e Berufserfa­hrung sehr praktische­r Art bescherte: So hat Familien-Staatssekr­etärin Caren Marks nach ihrem Diplom-Abschluss als Geografin nur kurz als wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin an ihrer Universitä­t gearbeitet, war dann aber von 1991 bis 2002 „Familienfr­au“, wie sie es nennt – also mit passender Erfahrung für ihre spätere Führungsau­fgabe im Ministeriu­m für Familie und Frauen.

Die Posten von Parlamenta­rischen Staatssekr­etären wurden 1967 „erfunden“, um die Minister zu entlasten und talentiert­e Nachwuchsp­olitiker schon mal als „Juniormini­ster“Erfahrunge­n sam-

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