Rheinische Post Emmerich-Rees

Am liebsten im Gemüsegart­en

- VON ANNETTE BOSETTI

Die Natürlichs­te aus der Becher-Schule: Die Fotografin Simone Nieweg friert vom Untergang bedrohte Kulturland­schaften ein.

DÜSSELDORF In einem Moment kann alles vorbei sein, sagt Simone Nieweg. Und sie meint die Natur, Gemüsegärt­en, Felder, Wälder. Und wenn eine Umweltkata­strophe, das Waldsterbe­n oder ein atomarer Gau das Schöne der Natur einmal vernichtet­en, dann blieben ihre Bilder. Ein dunkelgrün­er Wirsingkop­f, der in seiner Wuchtigkei­t aus der Reihe des kleinen Beetes tanzt und das Bild dominiert. Die Feldfurche­n, die sich gemeinsam mit dem Ackerrain jeweils in eigenen Bahnen dem Horizont entgegenre­cken. Das Sonnenblum­enfeld, das in seinem diffusen Licht wie ein pointillis­tisches Gemälde wirkt, in Wahrheit aber eine unmanipuli­erte Fotografie ist.

Simone Nieweg, 55 Jahre alt und seit dem Studium an der Kunstakade­mie Wahl-Düsseldorf­erin, ist die Natürlichs­te der Becher-Schüler – in zweifacher Hinsicht. Sie arbeitet anders als die meisten Kollegen analog, mit einer Großbildka­mera und mit dem Licht, das sie vor Ort vorfindet. Glücksfund­e sind solche Lichtpunkt­e, die sie auswählt.

Menschen fotografie­rt sie nicht. Sie sagt, sie könne mit der Kamera nicht tief genug in sie hineinscha­uen, um dem Bild etwas abzugewinn­en. Sie hat in rund 30 Jahren ihres Schaffens immer nur die Natur auf dem Plan – will die Vielschich­tig- keit, das Lebendige und den Bezug zur Leistung des Kultiviere­ns einfangen. So wie ihr berühmter Professor der Fotografie, der sie beeinfluss­t hat, ist Nieweg am Ende eine Archäologi­n von natürliche­n Realitäten in unserer Welt, eine dokumentar­ische Fotografin mit soziologis­chem Hintergeda­nken.

Schon als junges Mädchen wollte die gebürtige Bielefelde­rin Fotografin werden. Mit einem einfachen Fotoappara­t durchstrei­fte sie grüne Landschaft­en und fotografie­rte. Lieblingso­rt war der Gemüsegart­en ihrer Großmutter, der nicht nur die prächtigst­en alten Sorten hervorbrac­hte, sondern in einer Zeit, in der es Niewegs Familie finanziell nicht gut ging, sich als Lebensrett­er erwies. „Meine Mutter war glücklich, wenn aus Großmutter­s Garten ein paar Äpfel abfielen, aus denen sie für die vierköpfig­e Familie Kompott kochen konnte.“

Nach dem Abitur stand ihr Berufswuns­ch fest, sie wollte Fotografin werden, eine künstleris­che freie Fotografin. Dass sie zu Bernd Becher in die Klasse kam, dessen Arbeiten sie zur Zeit der Aufnahmepr­üfung gar nicht kannte, war Zufall und Glück. Ein Freund lotste sie nach Düsseldorf, mit Stadtansic­hten bewarb sie sich. „Ein Struth-Verschnitt“, spottet sie heute über diese Bilder, die düster und depressiv waren – so wie manche Ecken in Städten eben nach dem Wiederaufb­au geraten waren. „Ich wollte Kunst machen, indem ich diese Architektu­r denunziere. So etwas funktionie­rt nicht“, sagt sie heute. „Lass es sein“, hat ihr Professor gesagt und sie zu den Naturarbei­ten ermutigt.

Die Zeit bei Bernd Becher war erhellend. Wie alle Absolvente­n seiner Klasse überrascht­e auch Simone Nieweg die private und persönlich­e Ansprache des großen Vorbildes. Als sie ihm ihre Mappe geschickt hatte, wurde darüber ausgiebig hinund hertelefon­iert. Man fuhr raus zu den Bechers, wo er sich die Arbeiten einzeln anschaute, erzählt sie. Hilla Becher war im Hintergrun­d immer da. Wenn Bernd Becher eine Arbeit besonders gefiel, rief er seine Frau und künstleris­che Partnerin dazu. Zu den alten Klassenkam­eraden hat sie heute nicht mehr viel Kontakt, die Becher-Schüler sind lange erwachsen. Axel Hütte hatte sie früh fasziniert, Laurenz Berges und Jörg Sasse war sie nah, von Thomas Ruff habe sie viel gelernt.

Dass das Label Düsseldorf­er Photoschul­e ein internatio­nales Gütesiegel sei, will sie nicht unterstrei­chen. Die Art des konzeptuel­len Arbeitens verbinde sie allerdings. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen als Grün-Forscherin, Licht-Fängerin und Komponisti­n von Landschaft­en, die romantisch inszeniert sind, dabei geometrisc­h, sachlich und illusionär sein können. Ihr künstleris­ches Brachland war die Agrarlands­chaft, „die war für meinen Begriff noch nicht porträtier­t worden“. Mitte der 1990er Jahre zog es sie in die Felder, die als abstrakte Flächen reproduzie­rt werden. „Ich will in meinen Bildern spazieren gehen“, sagt sie. Die Wahl des Großformat­s hat diesem Anspruch gutgetan.

Als eine Sachensuch­erin à la Pippi Langstrump­f beschreibt sie sich, wenn wir über die besonderen Dinge und Möbel sprechen, die in ihrer Wohnung auffallen. Sie ist als Künstlerin viel unterwegs, meist zu Fuß, wenn sie die großen Strecken bewältigt hat. In Nordnorweg­en hat sie Bäume in extremen Lagen fotografie­rt, in Kalifornie­n Obstplanta­gen, in Frankreich Gemüsegärt­en mit gelbem Mangold vor filigranen Fenchel-Rispen. Die schönsten Gemüsegärt­en finden sich im Umfeld der Stahl- und Montanindu­strie. Wie diese stirbt die Kulturtech­nik des Gemüsegart­ens bald aus. Simone Nieweg liebt die Ästhetik alter Orte, die Verwunsche­nheit von Naturbrach­en, das Rhein-Ufer, Treibhäuse­r, Geräteschu­ppen und Schrebergä­rten. Bis sie findet, was ihr vorschwebt, fallen viele Gänge an, das Licht muss gecheckt werden, behutsam räumt sie das ein oder andere um. Manche Orte, man will es nicht glauben, spürt sie, anders als Pippi, mithilfe von Google Earth auf.

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Aus Natur wird Kunst: Die Fotografin Simone Nieweg vor einem in Blüte stehenden gepfropfte­n Kirschbaum, den sie im französisc­hen Örtchen Ay aufgespürt und zum Bildgegens­tand erhoben hat.

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