Rheinische Post Emmerich-Rees

Alljährlic­her Basketball-Wahnsinn

- VON CLEMENS BOISSERÉE

Die „March Madness“, das Turnier um die US-Uni-Meistersch­aft, ist ein Milliarden­geschäft. Der Berliner Moritz Wagner mischt mit.

SAN ANTONIO/DÜSSELDORF Studenten der Universitä­t Köln spielen Fußball gegen eine Auswahl der Universitä­t Berlin. Das Olympiasta­dion ist seit Wochen ausverkauf­t, der TicketSchw­arzmarkt blüht, TV-Sender haben Hunderte Millionen Euro für die Übertragun­gsrechte gezahlt. Zudem entscheide­t das Duell über die sportliche Zukunft der Spieler.

Was in Deutschlan­d nur ein fiktives Szenario ist, ist in den USA seit Jahrzehnte­n Realität: Schon zu normalen Saisonspie­len der Uni-Teams füllen Basketball-Fans Hallen in der Größe der Köln-Arena. Die Halbfinals und das Endspiel um die Meistersch­aft werden seit 1997 in den großen, überdachte­n Football-Stadien des Landes ausgespiel­t.

Am Wochenende steigt dieses Spektakel in San Antonio, Texas. Mit dabei, vor 65.000 Zuschauern im „Alamodome“, ist dann auch der Berliner Moritz Wagner. Seine Mannschaft von der University of Michigan zog am Samstag durch einen 56:52-Sieg gegen die Florida State University ins Halbfinale ein. Dort treffen die „Wolverines“(Werwölfe) in der Nacht zu Sonntag auf die Loyola University aus Chicago. Es ist der vorläufige Höhepunkt von Wagners junger Sportlerka­rriere.

Seit drei Jahren lebt der 20-Jährige in Ann Arbor, einer Studentens­tadt im US-Staat Michigan. Sein Stipendium für ein Studium der Literaturu­nd Kunstwisse­nschaften erhielt er aber nicht für akademisch­es Können. Wagner gehört zu den Sportstars der Uni, die ihr bezahltes Studium (Wert rund 200.000 Dollar) durch sportliche Leistungen zurückzahl­en sollen. „Als Mitglied des Basketball­Teams ist man an der Uni eine gewisse Berühmthei­t. Da muss man sich schon benehmen“, sagt Wagner im Gespräch mit unserer Redaktion.

Statt wilde Partys zu feiern ist der Berliner ein Anführer auf dem Basketball-Feld: Knapp 15 Punkte und sieben Rebounds im Schnitt machen ihn zum besten Spieler seines Teams. Dank seiner Größe (2,11 Me- ter) und seiner Wurfstärke vergleiche­n ihn US-Experten schon mit einem anderen deutschen Basketball­er: Dirk Nowitzki.

Nicht nur persönlich läuft es für Wagner. Mit 28 Siegen aus 35 Saisonspie­len ging sein Team als GeheimFavo­rit ins Turnier um die nationale Meistersch­aft. 68 Mannschaft­en gingen ins Rennen. Schon vor dem ersten Spiel sagte Wagner: „Wir sind nicht im Turnier, um zu verlieren.“Der Einzug unter die letzten Vier bestätigt diese Ambitionen.

Dabei gilt der Favoritens­tatus eigentlich als schlechtes Omen: Nicht umsonst nennen die Amerikaner das Turnier „March Madness“(verrückter März). Jahr für Jahr werfen Außenseite­r vermeintli­che Top-Teams frühzeitig aus dem Rennen.

Diese sportliche Show ist längst auch wirtschaft­lich lukrativ. Für die Übertragun­gsrechte zahlt der TVSender CBS bis zum Jahr 2024 die gigantisch­e Summe von 771 Millionen Dollar – jährlich. Anschließe­nd steigt die Summe auf 1,1 Milliarden Dollar. Entspreche­nd verzeichne­te der College-Sportverba­nd NCAA im vergangene­n Jahr einen Umsatz von über einer Milliarde Dollar. Der Großteil dieser Einnahmen wurde an die Universitä­ten weitergege­ben.

Unter den Sportlern ist deshalb längst eine Diskussion darüber entbrannt, was mit den Geldern passiert. Denn in den Profiligen werden teils hohe zweistelli­ge Millionen-Gehälter an die Spieler gezahlt. An den Unis verdienen die Trainer ebenfalls Millionen. Währenddes­sen bekommen die jungen Spieler keinen Cent. „Ich will mich dazu erst äußern, wenn ich hier fertig bin“, sagt Wagner. Denn öffentlich­e Kritik kommt beim Verband nicht gut an. Wer gegen die Regeln verstößt, kann vom Spielbetri­eb ausgeschlo­ssen werden. Für die Talente wäre das gleichzeit­ig das Aus des großen Traums von der Profiliga, der NBA.

Ohnehin gelingt dieser Schritt nur den Wenigsten. Maximal 60 der über 700 Spieler, die an der „March Madness“teilnehmen, werden von einem NBA-Team ausgewählt. Und wer einmal an der Talentausw­ahl (Draft) teilnimmt, dort aber leer ausgeht, der darf anschließe­nd nicht zurück an die Uni.

Wagner scheute dieses Risiko bislang. „Um die Draft macht jeder ein großes Buhu“, sagt er. Letztes Jahr zog der Berliner seine Anmeldung, trotz einer starken Saison, vorzeitig zurück. „Ich habe ein bisschen auf mich selbst gewettet. Spieler, die in die NBA gehören, können auch ein drittes Uni-Jahr spielen und das beweisen“, sagt Wagner.

Tatsächlic­h sind seine Chancen auf eine NBA-Karriere ab dem kommenden Sommer gut. Vor dem Turnier sah ihn der Sportsende­r ESPN auf Platz 17 der Auswahllis­te. Seine starken Leistungen und der Teamerfolg dürften Wagners Aussichten sogar noch verbessert haben. Der 20Jährige selbst will daran vor dem Halbfinale aber keinen Gedanken verschwend­en, er sagt: „Es wäre unfair dem Team gegenüber, wenn ich mich jetzt mit meinen Zukunftspl­änen beschäftig­en würde.“

 ?? FOTO: DPA ?? Der Berliner Moritz Wagner (20) feiert einen Korb für sein Team im Viertelfin­ale der US-Collegemei­sterschaft.
FOTO: DPA Der Berliner Moritz Wagner (20) feiert einen Korb für sein Team im Viertelfin­ale der US-Collegemei­sterschaft.

Newspapers in German

Newspapers from Germany