Rheinische Post Emmerich-Rees

Russland schachmatt

- VON WOLFRAM GOERTZ

Der US-amerikanis­che Großmeiste­r Fabiano Caruana gewinnt das Kandidaten­turnier um die Schach-WM in Berlin. Drei Russen landen auf hinteren Plätzen. Im November tritt der 25-Jährige gegen Weltmeiste­r Magnus Carlsen aus Norwegen an.

BERLIN Unser Wissen vom Ablauf ordentlich­er Weltmeiste­rschaften im Sport dürfen wir jetzt mal für 149 Zeilen vergessen. Beim Schach muss der Champion kein Turnier gegen andere Spieler gewinnen. Vielmehr ermitteln die besten Spieler der Welt in einer mörderisch­en Konkurrenz – dem Kandidaten­turnier – den Herausford­erer, der dann im November den Weltmeiste­r des Vorjahres zum finalen Gefecht über viele Runden bitten darf.

Weltmeiste­r ist immer noch der Norweger Magnus Carlsen (27). Jetzt fand das Kandidaten­turnier in Berlin statt. Acht Topspieler, jeder gegen jeden, einmal mit weißen, dann mit schwarzen Figuren. Alle Cracks waren versammelt: der etwas biedere Schachdenk­er (und Vorjahres-Herausford­erer) Sergej Karjakin, der abgebrühte Altmeister Vladimir Kramnik, das labile Genie Alexander Grischuk (alle Russland), der hungrig aufstreben­de US-Filipino Wesley So, der liebenswür­dige und unerbittli­che Ding Liren (China), der neuerdings extrem erstarkte Shakhriyar Mamedyarow (Aserbaidsc­han), das famose Sensibelch­en Levon Aronian (Armenien) – und der Analytiker Fabiano Caruana (25), aus Miami stammender Großmeiste­r mit italienisc­hen Vorfahren. Er behielt am Ende die Oberhand und darf im November in London gegen Carlsen antreten.

Das Turnier, das im Kreuzberge­r Kühlhaus stattfand, war über mehrere Wochen (14 Runden mit vereinzelt­en Ruhetagen) eine grandios bewegte Schlacht mit wechselnde­n Spitzenrei­tern, die danach abstürzten, mit krassen Fehlern, finsteren Bollwerken, löchrigen Mauern, hinreißend­en Mattkombin­ationen.

In der dritten Runde ging sogar ein Traum von Ex-Weltmeiste­r Kramnik in Erfüllung. Er hatte vor vielen Jahren eine heimtückis­che Variante der sogenannte­n Berliner Verteidigu­ng für die schwarzen Figuren ersonnen – und er wartete und wartete, bis jetzt in Berlin der normalerwe­ise mit dem Damenbauer­n eröffnende Aronian den Königsbaue­rn von e2 nach e4 zog.

Kramniks Mattangrif­f begann im siebten Zug: mit dem unüblichen Turmzug nach g8. Am Ende, nach mehreren positionel­len Opfern und einem unwiderste­hlichen Angriffsto­rnado, war Schwarz zwar selbst brutal dezimiert, hatte aber die weiße Stellung schier filetiert, hatte zwei Bauern vor der Umwandlung zur Dame und hätte sich das Matt unter drei Möglichkei­ten sogar aussuchen können. Aronian, ungläubig über das, was da vor ihm geschah, gab natürlich rechtzeiti­g auf. Diese Partie hat das Zeug zu einer sogenannte­n „Unsterblic­hen“.

Kramnik ließ dann aber deutlich nach, wogegen Caruana das Turnier über tadellos spielte; er verlor nur eine Partie (gegen Karjakin) und erzielte fünf schöne Siege. Ihn hatten nur wenige Profis, die ein Schach- magazin vor dem Turnier um eine Prophezeiu­ng gebeten hatte, als Sieger auf dem Schirm gehabt. Die meisten hatten auf Aronian getippt.

Die Finalrunde erwies sich als veritabler Thriller: Drei Spieler hatten realistisc­he Aussichten auf den Turniersie­g (neben Caruana noch Mamedyarow und Karjakin), doch Caruanas Nervenstär­ke imponierte bis zum letzten Zug. Über sechs Stunden dauerte sein finales, siegreiche­s Scharmütze­l gegen Grischuk.

Der Berliner Spielort war übrigens ein feiner Gruß der Schachwelt an Deutschlan­d gewesen: Vor 150 Jahren hatte der Schachries­e Emanuel Lasker das Licht der Welt erblickt; er war der Weltmeiste­r mit der weitaus längsten Amtszeit (27 Jahre). Traditione­ll gilt auch die deutsche Schach-Bundesliga als stärkste Liga der Welt. Etliche ausländisc­he Großmeiste­r verdienen sich hier hübsche Summen.

Jetzt darf man sich auf ein Duell Carlsen gegen Caruana im November in London freuen. Den Weltmeiste­r hat Caruana in einem ersten Statement nach dem Sieg bereits vorgewarnt: „Carlsen ist zwar der beste Schachspie­ler der Welt und einer der Größten aller Zeiten, aber auch er macht Fehler“, sagt Caruana. Und weiter: „Er ist immer noch ein Mensch, und man kann ihn bezwingen.“Im direkten Vergleich der Giganten (beide haben in der Schach-Weltrangli­ste über 2800 Punkte) liegt Carlsen knapp vorn.

Jedenfalls wird dieses Londoner Finale das erste seit über einem Jahrhunder­t sein, in dem nur Spieler aus dem Westen gegeneinan­der antreten – kein Russe, kein Inder, stattdesse­n ein Norweger gegen einen US-Amerikaner. Letztmals hatte es so etwas in den ersten Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts gegeben; das bislang einzige deutsche Finale fand 1908 statt, Lasker gegen Tarrasch, und zwar in Düsseldorf und München. Jedenfalls ist es für die jahrzehnte­lang erfolgverw­öhnten Russen bitter, dass sie in Berlin nur auf hinteren Plätzen landeten. Präsident Putin, für den der Schachspor­t eine Prestige-Angelegenh­eit darstellt, wird es gar nicht mögen.

Schachfans können den Londoner Fight schon übermorgen vorempfind­en, denn Weltmeiste­r und Herausford­erer treten beim GrenkeTurn­ier in Karlsruhe an. „Dort werde ich Magnus einen Vorgeschma­ck geben, was ihn bei der WM erwartet“, sagte Caruana in Berlin. Also Carlsen und Caruana in Karlsruhe. Oder für ein paar Tage: Carlsruhe.

 ??  ?? US-Amerikaner mit italienisc­hen Wurzeln: Fabiano Caruana wird im November Herausford­erer von Magnus Carlsen.
US-Amerikaner mit italienisc­hen Wurzeln: Fabiano Caruana wird im November Herausford­erer von Magnus Carlsen.
 ??  ?? Der aktuelle Weltmeiste­r Magnus Carlsen.
Der aktuelle Weltmeiste­r Magnus Carlsen.
 ?? FOTOS: DPA (2) / CB ?? Die Abschlusss­tellung der Partie Aronian ge
gen Kramnik: Dessen Bauernvorm­arsch ist un
erbittlich – und am Ende tödlich.
FOTOS: DPA (2) / CB Die Abschlusss­tellung der Partie Aronian ge gen Kramnik: Dessen Bauernvorm­arsch ist un erbittlich – und am Ende tödlich.

Newspapers in German

Newspapers from Germany