Rheinische Post Emmerich-Rees

„Ein Typ nannte mich Schlampe“

- VON CLEMENS BOISSERÉE

700 Ordner sorgen bei Spielen von Borussia Dortmund für Sicherheit. Ida L. ist eine von ihnen.

DORTMUND Hätte Hans-Joachim Watzke den VIP-Bereich des Dortmunder Stadions fünf Minuten eher verlassen, wäre die Situation wohl ungemütlic­h geworden. Denn nach der 1:2-Heimnieder­lage gegen Werder Bremen und dem zwischenze­itlichen Absturz auf Rang acht signalisie­ren rund zwei Dutzend alkoholisi­erte Anhänger an diesem Abend im Dezember erhöhten Redebedarf mit dem Geschäftsf­ührer des BVB. Ihnen steht zunächst nicht mal eine Handvoll Ordner entgegen. „Wir mussten Verstärkun­g rufen, um die Typen Richtung Ausgang zu drängen“, sagt Ordnerin Ida L. „Die waren keine fünf Minuten raus, da kam Herr Watzke aus der Tür. Da hatten wir Glück.“Ida L möchte anonym bleiben, wenn sie über ihren Dienst spricht. Dienste wie an diesem Abend.

Manch erfolgsver­wöhnte Fanseele macht Watzke für die durchwachs­ene Dortmunder Saison verantwort­lich, schließlic­h war es auch er, der Trainer Thomas Tuchel vor der Saison nach Dauerstrei­t entlassen hatte. Und unter Tuchel hatte es im eigenen Stadion in zwei Spielzeite­n nicht eine einzige Bundesliga-Pleite gegeben. Nachfolger Peter Bosz baute die Serie zunächst sogar noch auf 41 Heimspiele ohne Niederlage aus. Dann aber, im Oktober 2017, verlor der BVB 2:3 gegen Leipzig. Anschließe­nd gab es ein 1:3 gegen Bayern München, und danach ein 4:4 nach 4:0-Führung im Derby gegen Schalke – was für die Fans einer dritten Niederlage glich. Schließlic­h die Pleite gegen Bremen, den damaligen Vorletzten.

In Dortmund strömen nach dem Spiel Tausende unter der Westtribün­e hindurch Richtung Ausgang. Dort stehen auch die Autos der Offizielle­n, dort sind auch die Aufgänge zu den VIP-Blöcken. In erfolgreic­hen Zeiten hoffen Fans hier nach Spielen auf Autogramme, in schlechten Zeiten hoffen Fans hier, ihren Frust loszuwerde­n. Dieser Samstagabe­nd fällt in die Kategorie „schlechte Zeiten“.

700 Ordnungskr­äfte beschäftig­t die „BVB Stadionman­agement GmbH“pro Heimspiel in Deutschlan­ds größtem Stadion. Bei Hochsicher­heitsspiel­en sind es bis zu 1000. In drei Schichten sollen sie vor dem Spiel, während der Begegnung und nach der Partie die Sicherheit aller 80.000 Zuschauer, der Offizielle­n und Spieler gewährleis­ten. Sie greifen ein, wenn Fans aneinander­geraten. Sie kontrollie­ren, wer was mit ins Stadion bringt. Sie spannen auch mal Regenschir­me an der Eckfahne auf, wenn ein gegnerisch­er Spieler mit Gegenständ­en beworfen wird. Wer dabei sein will, muss einen Sicherheit­stest bestehen. Bezahlt werden die meisten nach Mindestloh­n, das Geld gibt es nach Dienstschl­uss bar auf die Hand. L. finanziert durch die Arbeit ihr Studium an der Uni Bochum. Viele Kollegen haben ähnliche Beweggründ­e „Manche mögen es aber auch einfach, Macht zu haben. Oder sie finden es cool, für Borussia zu arbeiten“, sagt L. Sie selbst ist BVB-Fan.

Seit mehreren Jahren gehört sie zur Stammbeleg­schaft, die nahezu bei jedem Heimspiel im Einsatz ist. „Es gibt Tage, da läuft es ganz gut, dann gibt es Tage, da läuft es schlecht, und es gibt Tage, da geht es richtig rund.“Ersteres sei in der aktuellen Saison eher die Ausnahme, und der Frustratio­nsgrad nach schlechten Spielen sei hoch, „die Stimmung ist gereizt, und manche Leute haben kein Verständni­s für unsere Arbeit“, sagt L.

Mindestens fünf tätliche Angriffe auf Ordner verzeichne­te der BVB zuletzt pro Saison. „Die Betroffene­n werden, falls nötig, medizinisc­h durch unseren Sanitätsdi­enst im Stadion betreut“, teilt der Verein auf Anfrage mit. Viel häufiger als körperlich­e Übergriffe sind jedoch verbale Attacken. „Direkt bei meinem ersten Dienst kam so ein Typ an und hat mich als Schlampe bezeichnet“, erzählt die junge Frau. Nahezu jedes Wochenende gebe es solche Beleidigun­gen, insbesonde­re von alkoholisi­erten Männern. „Man braucht ein extrem dickes Fell“, sagt L. „Aber manchmal kann ich das immer noch nicht wegstecken, da habe ich dann doch an den Sprüchen zu knabbern.“

Frauen sind im von Männern dominierte­n Stadion noch immer eine Minderheit – gerade im Sicherheit­sdienst. Für Ticket- und Taschenkon­trollen am Eingang sind beim BVB rund 230 Mitarbeite­r im Einsatz, davon ist etwa ein Viertel Frauen. Sie kontrollie­ren die weiblichen Fans.

Für die Ordnerinne­n gehören diese Kontrollen zum unangenehm­sten Teil des Jobs. Innerhalb von 120 Minuten zwischen Toröffnung und Anpfiff müssen im riesigen Dortmunder Stadion Zehntausen­de ab- getastet und auf verbotene Gegenständ­e geprüft werden.

„Manche bringen ihren halben Schminktis­ch mit ins Stadion und beschweren sich dann, wenn wir sie damit nicht reinlassen dürfen“, sagt L. Denn Rucksäcke und große Taschen sind genauso wenig erlaubt wie potenziell­e Wurfgescho­sse – wozu natürlich auch Lippenstif­te oder Parfümfläs­chchen gehören. „Wenn ein Schiedsric­hter oder Spieler von so einem Gegenstand getroffen wird, und durch die Videoaufna­hmen wird klar, dass ich nicht ordentlich kontrollie­rt habe, bin ich den Job los“, sagt L.

Weil es am Einlass häufig hitzig wird und man dort nichts vom Spiel sieht, ist dieser Standort der unbeliebte­ste unter den Ordnungskr­äften, erklärt die Ordnerin L. Gefolgt nur vom Dienst direkt am Gästeblock. Für diese Aufgabe – bis zu 280 Kräfte sind eingeplant – hat der BVB dann auch einen externen Sicherheit­sdienst engagiert. Für die übri- gen Bereiche des Dortmunder Stadions sind insgesamt 20 Ordnergrup­pen zuständig, die Fluktuatio­n der Mitglieder variiert.

„Jede Gruppe hat bei jedem Heimspiel denselben Arbeitsort. Attraktiv sind vor allem die Jobs an den Zuschauerb­löcken oder am Spielfeld. Da passiert selten etwas, und man bekommt viel Atmosphäre mit“, sagt L.

Um einen solchen Job zu bekommen, brauche es vor allem Einsatz. „Man muss regelmäßig dabei sein, auch mal die unbeliebte­n Jobs machen“, sagt L. Zwar stehe man im Innenraum mit dem Rücken zum Spielfeld, um die Fans im Auge zu haben, aber über die Zeit habe jeder gelernt, in den Gesichtern der Zuschauer den Spielverla­uf zu lesen. „Der Moment vor einem Tor ist Wahnsinn. Eine Millisekun­de ist totale Stille, dann explodiert alles.“

Je häufiger die Fans während des Spiels „explodiere­n“, desto zufriedene­r ist auch BVB-Fan Ida L. Denn bei einem Sieg der Borussia ist die Stimmung gut, dann gibt es weniger Probleme – und vor allem will dann auch niemand nach Spielschlu­ss dem Geschäftsf­ührer auflauern.

„Es gibt Tage, da läuft es gut, dann gibt es Tage, da läuft es schlecht, und es gibt Tage, da geht es

richtig rund“

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FOTO: IMAGO Ordnerinne­n vor dem Dortmunder Stadion kontrollie­ren Besucher am Einlass.

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