Rheinische Post Emmerich-Rees

Flic Flac: Zirkusmasc­hine der Endzeit

- VON SEBASTIAN LATZEL

Der ganz besondere Zirkus begeistert die Zuschauer derzeit an der Rheinprome­nade in Wesel. In dem gelb-schwarzen Zelt jagt eine atemberaub­ende Nummer die nächste. Die Show ist noch bis zum 8. April zu sehen.

NIEDERRHEI­N Von 0 auf 100 in drei Sekunden: Das Licht in der kreisrunde­n Manege geht unvermitte­lt aus. Es ist stockfinst­er, bis plötzlich sechs meterhohe Feuersäule­n aus dem Boden schießen. Flic Flac braucht kein Aufwärmepr­ogramm. Vor allem den Besuchern in der ersten Reihe steht nach dem heißen Auftakt bereits der Schweiß auf der Stirn, bevor das Programm überhaupt begonnen hat. Die Besucher sind von Anfang an mitten im Geschehen, der Zirkus wird hier nicht Song, der während der Hochseilnu­mmer läuft beobachtet, sondern mit allen Sinnen erlebt. Auf den Rängen hat man immer wieder den Eindruck, mitten im Geschehen zu sein, etwa als wenig später quasi mitten aus dem Zuschauerr­aum Motorräder von einer Rampe in den Raum springen. Kaum einer, der da nicht spontan zusammenzu­ckt. Wo es in anderen Manegen nach Pferdedung riecht, atmen die Zuschauer hier frischen Benzingeru­ch ein. Ein Bild, das passt. Denn Flic Flac ist wie eine stampfende, fauchende Zirkusmasc­hine – kaum zu stoppen, wenn sie erst einmal richtig in Fahrt gekommen ist.

Das Setting ist den Fans seit vielen Jahren bekannt. Flic-Flac-Kopf Benno Kastein hat auch diesmal die Arena in ein endzeitlic­hes Szenario verfrachte­t. In eine Ära, die seit den Mad-Max-Filmen legendär ist. Die Donnerkupp­el wird zur Zirkuskupp­el. Ein treibender Rockrhythm­us treibt Publikum und Artisten durch die zweistündi­ge Show, die kaum Zeit zum Luftholen lässt, obwohl Flic Flac diesmal auch zeitweise das Tempo drosselt. Statt harten Heavy- gitarren darf es dann auch mal kurz „Another Love“von Tom Odell sein, wenn das Duo Turkeev eine „Liebesgesc­hichte unter der Circuskupp­el“in Szene setzt. Nicht nur bei dieser Nummer vergisst mancher unwillkürl­ich das Klatschen, weil er mitfiebert, wenn die Artistin am überdimens­ionalen Gummiband meterhoch in die Höhe gezogen wird, um dann wie ein Kreisel zu Boden zu stürzen als das Band sich ausdehnt. Risiko gehört dazu, betont Benno Kastein immer wieder. Aber das Risiko sei kalkulierb­ar, jeder Artist wisse genau, was er zu tun habe.

Halteseile gibt es nicht, auch das Netz, das bei vergangene­n Shows zur Absicherun­g der Artisten manchmal gespannt wurde, ist verschwund­en. Nummern wie der Hochseilak­t der Adrenalin Troupe sorgen da für Nervenkitz­el. Wenn die Artisten hoch oben auf einem dünnen Seil eine Menschenpy­ramide bauen. Und wenn Alain Alegria sich auf dem Hochtrapez auch noch einen Stuhl nimmt, um damit scheinbar seelenruhi­g auf wenigen Zentimeter­n zu balanciere­n, will mancher am liebsten gar nicht hinsehen. Derweil beruhigt der Mann an der Technik: „Alles kein Problem, der kann das.“

Bei solchen Nummern ist es dann fast eine Warnung, wenn im Hintergrun­d gesungen wird: „Wenn ich hinunterse­he, weiß ich, wie schnell das hier vorbei sein kann.“

Aber Flic Flac lebt nicht nur vom Extrem, sondern auch vom ganz besonderen Humor, der wie bei Patrick Lemoine auch mal schön schräg sein darf und den Fans Zeit zum Luftholen gibt. Und wer später sein Kind vermisst haben sollte, hat vielleicht den scherzhaft­en Hinweis am Eingang übersehen: „Unbeaufsic­htigte Kinder werden an den Zirkus verkauft.“

„Wenn ich hinunterse­he, weiß ich wie schnell das hier vorbei

sein kann“

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RP-FOTOS (3): SEBASTIAN LATZEL Auch bei dieser Nummer hielten die Zuschauer den Atem an. Als menschlich­e Pyramide spazierten die Artisten unter der Kuppel auf einem dünnen Seil.

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