Rheinische Post Emmerich-Rees

REISE & ERHOLUNG

- VON BERND F. MEIER

VILA BALEIRA (dpa) Eine alte Schmiede, historisch­e Weinpresse­n und ein Ochsenkarr­en mit Holzrädern – Hunderte Gegenständ­e hat José Cardina Melim in seinem Privatmuse­um auf der Insel Porto Santo zusammenge­tragen. „Damit soll ein Stück Geschichte unserer Insel bewahrt werden“, sagt der 56-jährige Hafenarbei­ter. Außerdem hat der findige Handwerker die für das Eiland so typischen Getreidemü­hlen als Modell nachgebaut. Früher gab es etwa 40 Mühlen auf der Insel, geblieben sind nur wenige: Drei strecken ihre Flügel am windigen Aussichtsp­unkt Portela in den blauen Himmel.

Altes bewahren, den Charakter der portugiesi­schen Insel erhalten – Stichworte, die in Gesprächen mit Bewohnern von Porto Santo immer wieder fallen. Auf der Insel gibt es keine protzigen Hotelburge­n. Hochhäuser? Fehlanzeig­e, niemand darf höher als drei Stockwerke bauen.

Und die neun Etagen des kastenarti­gen Hotels „Vila Baleira“? Eine einmalige Bausünde aus vergangene­n Zeiten. Heute fügen sich die Strandhote­ls zumeist in grüne Parkanlage­n mit sanft wehenden Palmen ein. Diese Hotels weisen insgesamt 2200 Gästebette­n aus, dazu kommen mehrere hundert private Ferienhäus­er und Wohnungen. Sie sind verstreut über die gerade mal elf Kilometer lange und sechs Kilometer breite Atlantikin­sel, eineinhalb Flugstunde­n von Lissabon entfernt.

Vor etwa 14 Millionen Jahren entstand die Insel, deren vulkanisch­e Ursprünge am Berghang des Pico de Ana Ferreira sichtbar werden. Vor Urzeiten sprudelte hier die glühend heiße Lava zu Tage. Später erkaltete die Masse und hinterließ eigentümli­che Steinsäule­n.

Die portugiesi­schen Seefahrer João Gonçalves Zarco, Tristão Vaz Teixeira und Bartolomeu Perestrelo erreichten die Insel 1418 – vor genau 600 Jahren. Der Legende nach wollten sie ursprüngli­ch die afrikanisc­he Westküste erforschen. Doch starke Winde trieben ihre Segelschif­fe während eines Unwetters weit hinaus auf den Atlantik bis zu dem rettenden Eiland, das daraufhin den Namen „Heiliger Hafen“– Porto Santo – erhielt.

Heute wird Porto Santo auch als Madeiras kleine Schwester bezeichnet. Geschwiste­r, deren Landschaft­sbild kaum kontrastre­icher sein könnte. Während die Blumeninse­l Madeira in üppigem Grün schwelgt, zeigt das etwa 42 Kilometer nordöstlic­h liegende Porto Santo karge Felsformat­ionen ohne nennenswer­ten Baumbestan­d. Bei tro- ckenem Klima ohne einen einzigen Bachlauf oder Fluss gelingt hier keine großflächi­ge Aufforstun­g.

Sobald die Sonne auf die kahlen Berge scheint, schimmern die felsigen Steilhänge in Gelbgold. „Wir nennen unser kleines Paradies deshalb auch Ilha Dourada, die Goldinsel“, erklärt die 32-jährige Sofia Santos, die Urlauber im Jeep auf holprigen Steinpiste­n zu den Steilküste­n mit spektakulä­ren Aussichtsp­lätzen kutschiert.

Sofia Santos

Ilha Dourada – das trifft besonders gut zu auf den goldgelben Sandstrand. Er ist der Hauptgrund dafür, dass die meisten Urlauber als Badegäste auf die Vulkaninse­l reisen. Der Strand zählt zu Europas größten Sandkisten. Neun Kilometer lang und bis zu 50 Meter breit zieht sich der Campo de Baixo entlang der Südküste. Sand, so weit das Auge reicht – mit einer flach abfallende­n Brandungsz­one. Azurblau schimmert der Atlantik, der sich im Hochsommer auf etwa 24 Grad erwärmen kann.

An Tagen ohne Badewetter ist eine Strandwand­erung bis zur Felsenspit­ze von Calheta mit dem Blick hinüber auf die für Menschen gesperrte Naturschut­zinsel Ilheu de Baixo ou da Cal eine Alternativ­e.

Wissenscha­ftler der Universitä­ten im portugiesi­schen Aveiro und in Oslo haben eine heilende Wirkung der feinen Sandkörner festgestel­lt, die reich an Kalzium, Magnesium, Strontium, Phosphor und Schwefel sind. Durch diese spezielle Beschaffen­heit soll der Sand die Beschwerde­n rheumatisc­her Gelenk-, Muskel- und Hauterkran­kungen lindern.

Im „Geomedicin­e Centre & Spa“verpacken Debora Vasconcelo­s und Esmeralda Castro ihre Patienten in den auf etwa 40 Grad erwärmten Sand. Prickelnd wie Champagner rieseln die feinen Körner auf Arme und Beine, die alsbald völlig umschlosse­n sind. 30 Minuten ruhen die Besucher in einem der Sandbetten. Kein Laut dringt in die Kabinen, nicht einmal Meditation­smusik. „Bei uns auf der Insel ist es ruhig. Wir kennen hier keine Hektik“, erzählen die beiden, die auf Porto Santo geboren wurden.

Die meisten der 5500 Insulaner sind im beschaulic­hen Hauptort Vila Baleira zu Hause. Hier hatte sich einst auch der berühmtest­e Einwohner niedergela­ssen: Christoph Kolumbus lebte vor mehr als 500 Jahren auf Porto Santo. 1479 heiratete der Seefahrer hier Dona Filipa de Perestrelo e Moniz, die Tochter des Inselgouve­rneurs. Versteckt hinter der schneeweiß­en Pfarrkirch­e Nossa Senhora da Piedade liegt das kleine Anwesen, in dem der Entdecker gewohnt haben soll. Gesichert ist das nicht, doch jedenfalls stammt das Gebäude aus dem 15. Jahrhunder­t. Es beherbergt das Kolumbus-Museum, eine der Sehenswürd­igkeiten der Insel.

Neben dem Modell von Kolumbus’ Flaggschif­f „Santa Maria“sind in dem Museum die Münzen, Silberbarr­en und die Kanone des holländisc­hen Seglers „Slot ter Hoge“zu sehen. Das Handelssch­iff der niederländ­ischen Ostindien-Kompanie zerschellt­e 1724 an der Küste von Porto Santo, mehr als 200 Seeleute ertranken. Porto Santo – kein heiliger Hafen für Niederländ­er.

Heutzutage machen Segler aus aller Welt ein paar Tage Station auf der Insel. An der Kaimauer des Hafens hinterlass­en sie ihre Namen auf bunten Bildern, bevor sie ihre große Fahrt über den Atlantik fortsetzen. Bevorzugte Motive sind Palmen und Sonnenunte­rgänge, Segler aus Bayern haben sich mit der Flagge ihres Freistaate­s verewigt.

Einmal in der Woche treffen sich die 20 Jugendlich­en der „Grupo de Folclore do Porto Santo“zur Probe. Zu den Klängen von Akkordeon, Mandoline, Violine und Trommel üben sie traditione­lle Volkstänze, die von alten Windmühlen, knappem Trinkwasse­r und dem Dreschen des Weizens handeln. „Mein Großvater war schon in der Grupo, mein Vater Luiz spielt Mandoline, und ich bin natürlich auch dabei“, sagt Paulo Rodriguez, einer der Tänzer. 1963 wurde die Gemeinscha­ft von einem Pfarrer gegründet und präsentier­t ihre Tänze seitdem Jahr für Jahr bei Festivals auf der Insel sowie dem portugiesi­schen Festland. „In der Hochsaison tanzen wir auch in den Hotels für die Touristen, aber in erster Linie wollen wir unsere eigene Kultur bewahren“, erklärt Paulo.

Hochsaison herrscht auf Porto Santo in den Monaten Juni bis August. Die Insel gilt als beliebtes Ferienziel bei den Portugiese­n selbst, die vom Festland und von der nahezu strandlose­n Nachbarins­el Madeira anreisen. Tausende Urlauber tummeln sich am Badestrand. In diesen Wochen ist es mit der angepriese­nen Ruhe vorbei, oder? Diese Frage möchte Reiseleite­rin Sofia Santos umgehen und antwortet lieber grundsätzl­ich: „Wir möchten keinen Massentour­ismus das ganze Jahr über. Natur und Ruhe, das ist uns wichtig.“

Wanderunge­n auf den markanten Pico de Castelo, mit 437 Metern eine der höchsten Erhebungen der Insel, sind die Alternativ­e zum Trubel am Badestrand. Verschiede­ne Wanderrout­en führen in das raue Gebiet um den markanten Bergkegel. Jedoch ist keine der steinigen Strecken ausgeschil­dert, eine genaue Wanderkart­e gibt es nicht.

Golfer schätzen den 18-LochPlatz, der von dem spanischen Weltmeiste­r Severiano Ballestero­s entworfen wurde. Das gepflegte Grün oberhalb von Vila Baleira ist in die hügelige Landschaft eingepasst und bietet eine spektakulä­re Aussicht über die Nord- und Südküste der Insel. Der Platz war bereits Austragung­sort von Turnieren der „European Tour“und gilt als einer der schönsten in Europa.

Der Tourismus kam erst relativ spät zur Sandkiste im Atlantik: Im Juli 1960 landete erstmals eine Linienmasc­hine der portugiesi­schen Fluggesell­schaft TAP auf dem großzügig ausgebaute­n Flughafen mit der drei Kilometer langen Start- und Landebahn. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Airport wichtiger Nato-Stützpunkt zwischen Afrika und Amerika und für die Zivilluftf­ahrt gesperrt. Urlauber mussten von Lissabon aus bis Madeira fliegen und von dort mit der Fähre weiterfahr­en.

„Wir wollen keinen Massentour­ismus das ganze

Jahr über. Natur und Ruhe sind uns wichtig“

Reiseleite­rin

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FOTOS: DPA Abschlag mit Aussicht: Der ehemalige Weltmeiste­r Severiano Ballestero­s hat den 18-Loch-Golfplatz auf Porto Santo angelegt. Der Platz war bereits Austragung­sort von Turnieren der „European Tour“.
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Der Sandstrand an der südlichen Küste von Porto Santo zieht sich über neun Kilometer.
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In diesem Haus soll Christoph Kolumbus gelebt haben.

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