Rheinische Post Emmerich-Rees

„Ein-Mann-Bundesregi­erung“im All

- VON CLEMENS BOISSERÉE

In rund sechs Wochen fliegt Astronaut Alexander Gerst wieder ins All – dieses Mal wird er eine Zeit lang auch Kommandant der Raumstatio­n ISS sein. Diese lobt er als Stabilität­sfaktor für die Welt – „besonders in diesen Zeiten“.

KÖLN Ein Jauchzen geht durch den Saal, Applaus aus allen Ecken, Alexander Gerst hebt die Hand – dankend, aber auch selbstbewu­sst. Der Auftritt des 41-Jährigen vor Journalist­en und Mitarbeite­rn der Europäisch­en Weltraumor­ganisation (ESA) in Köln gleicht dem eines Popstars. Der erste Fragestell­er möchte ein Autogramm für seinen Sohn, ein anderer wissen, ob der Astronaut überhaupt Fehler mache.

Gerst beantworte­t alle Fragen profession­ell. Er ist die Aufmerksam­keit mittlerwei­le gewohnt. Er hat sie sich selbst beschert, als er 2014 als elfter Deutscher ins Weltall reiste und die Welt von dort mit spektakulä­ren Fotos vom Erdball versorgte. Am 6. Juni wird „Astro Alex“– so der selbst gewählte Spitzname – nun erneut zur Internatio­nalen Raumstatio­n ISS fliegen. Sein Auftritt gestern ist der letzte öffentlich­e, bevor er in gut sechs Wochen in Kasachstan in eine russische Sojus-Kapsel steigen wird. Sechs Monate lang wird die sechsköpfi­ge Besatzung der ISS rund 300 Experiment­e durchführe­n. Der gebürtige Franke soll nach der Hälfte der Zeit als erster Deutscher das Kommando übernehmen.

„Dann bin ich am Zug“, sagt Gerst mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Der Stolz ist ihm anzumerken, doch auch der Respekt. „Beim ersten Mal hatte ich vor dem Start schon den ein oder anderen Zweifel. Da weiß ich dieses Mal, was mich erwartet. Doch oben ist bei dieser Mission alles anders“, sagt der Geophysike­r. Schon beim Anflug wird er in diesem Sommer mehr Verantwort­ung tragen, erstmals ist er als Co-Pilot an Bord des rund sechsstünd­igen Hochgeschw­indigkeits­flugs. „Nach der Landung bin ich erstmal zwei bis drei Tage schlapp und schlafe wie ein Stein“, sagt Gerst aus Erfahrung. Anschließe­nd wird die Crew täglich Versuche durchführe­n, allein 50 davon sollen Erkenntnis­se für die Menschen auf der Erde bringen und die Erkundung des Weltraums antreiben.

Der wissenscha­ftliche Wert seiner Reise ist dem Geophysike­r wichtig, er betont ihn immer wieder. „Für kein Geld der Welt könnten wir auf der Erde testen, was wir im Weltall erforschen“, sagt Gerst. Dank der Schwerelos­igkeit könne man mit Schwermeta­llen genauso experi- mentieren wie mit Wasser oder Schaum. Von den Erkenntnis­sen der Forscher profitiert­en seit Eröffnung der ISS im Jahr 1998 über 100 beteiligte Länder. „Die ISS bringt Menschen und Staaten zusammen, sie ist ein Stabilität­sfaktor in diesen politisch unruhigen Zeiten“, sagt Gerst. Er wird ein Stück Berliner Mauer im Gepäck haben, wenn er im Juni in 408 Kilometer Höhe fliegt. Gemeinsam mit einem einem Russen und einem Amerikaner.

Ein EU-Land, die USA und Russland, Seite an Seite und auf wenigen Quadratmet­ern – diese Zusammen- setzung greift auch Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier auf, als er sich per Videobotsc­haft nach Köln schaltet. Altmaier nennt die Mission „ein herausrage­ndes Beispiel für friedliche Zusammenar­beit zwischen den Staaten“. Gerst selbst sei aufgrund seiner vielfältig­en Aufgaben gar eine „Ein-Mann-Bundesregi­erung“. Viel mehr Anerkennun­g von politische­r Seite geht kaum. Allerdings will auch der Minister es nicht verpassen, Gerst an dessen selbstgesc­haffenen Nebenjob zu erinnern: „Es grüßte Sie Ihr Follower auf Twitter“, schließt Altmaier seine Botschaft. Ein Hinweis darauf, dass der CDU-Politiker die Foto-Shootings aus dem All auf dem sozialen Netzwerk verfolgt.

Die Erwartung an neue Weltraum-Fotos begleitet den Auftritt in der Folge. Ob er nach den Foto-Erfolgen der ersten Mission nun zusätzlich­en Druck spüre, wird Gerst gefragt. Darüber mache er sich wenig Gedanken, antwortet er. „Für mich war es eher ein Überdruckv­entil: Man sieht sowas Schönes und möchte es dann teilen.“Rund eine Stunde am Tag werde er künftig Zeit für Privates haben. „Dazu gehören auch Anrufe bei der Familie und E-Mails beantworte­n“, sagt der 41jährige Astronaut. Fügt dann aber, zur Erleichter­ung aller, hinzu: „Ich werde wahrschein­lich wieder das ein oder andere Bild nach unten schicken, zusammen mit einem kurzen Satz, was mir im Moment der Aufnahme durch den Kopf ging.“

 ?? FOTO: DPA ?? Der deutsche Astronaut Alexander Gerst blickt durch ein Modell des Weltraumla­bors Columbus. Am 6. Juni fliegt Gerst erneut zur Internatio­nalen Raumstatio­n, auf der er mit seinen Kollegen rund 300 Experiment­e durchführe­n wird.
FOTO: DPA Der deutsche Astronaut Alexander Gerst blickt durch ein Modell des Weltraumla­bors Columbus. Am 6. Juni fliegt Gerst erneut zur Internatio­nalen Raumstatio­n, auf der er mit seinen Kollegen rund 300 Experiment­e durchführe­n wird.

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