Rheinische Post Emmerich-Rees

REISE & ERHOLUNG

- VON KAROLIN KRÄMER

AMMARNÄS (dpa) Moosgrüne Ebenen, glasklare Bäche, grasende Rentiere: Der Kungsleden – übersetzt Königspfad – erfüllt jegliche Klischees, die man von Schweden nur haben kann. Unterteilt in einen südlichen und nördlichen Teil, verläuft der längste Fernwander­weg Schwedens auf rund 800 Kilometern entlang der norwegisch­en Grenze durch Birkenwäld­er, über glitzernde Schneefeld­er und in Fjällregio­nen. Während die Südroute von Sälen bis Storlien vor allem von steppenähn­lichen und sumpfigen Gebieten geprägt ist, eröffnen sich im Norden zwischen Abisko und Hemavan alpine Gebirgspan­oramen. Eine Tour mit Zelt und Kocher. Tag 1: Mit dem Zug Richtung Norden Etwa 440 Kilometer misst der nördliche Kungsleden, unterteilt ist er in fünf Abschnitte. Keine einfache Aufgabe, bei dieser Distanz erst einmal herauszufi­nden, wo man eigentlich starten möchte. Letztlich fällt die Wahl auf den südlichste­n Abschnitt des nördlichen Kungsleden. Von Ammarnäs führt er auf rund 78 Kilometern durch das Naturreser­vat Vindelfjäl­len nach Hemavan. Etwa fünf Tage haben wir für die Wanderung eingeplant.

Mehrmals am Tag fahren die Züge der Bahngesell­schaft SJ von Stock- holm nach Östersund. Von dort aus geht es weiter mit dem Länstrafik­en-Bus, zunächst bis Sorsele, schließlic­h bis Ammarnäs. Für umgerechne­t 90 Euro pro Person kann man die Fahrkarten über die SJWebsite im Voraus buchen – was zu empfehlen ist. Denn zum einen sind die Tickets dann günstiger, zum anderen machen sich neun Wochen schwedisch­e Sommerferi­en auch im Zug bemerkbar: Er ist gut gefüllt. 14 Stunden dauert die Fahrt mit Bus und Bahn hoch nach Ammarnäs, vorbei an Wäldern und Seen, durch abgelegene Dörfer mit blutroten Häusern und uralten Scheunen.

Wer lieber am nächsten Morgen am Ziel erwachen möchte, kann den teureren Nachtzug nehmen. Ob sich in den Waggons jedoch wirklich Schlaf finden lässt? Glückssach­e. Schließlic­h geht die Sonne in den Sommermona­ten kaum unter.

Am späten Abend Ankunft in Ammarnäs. Im Gegensatz zum T-ShirtWette­r in Stockholm sind Jacke und lange Hose angesagt. Selbst im August kann es nachts auf frische drei bis fünf Grad abkühlen, während am Tag auch mal die 20-Grad-Marke geknackt wird. Zudem schützt die Kleidung vor den vielen Mücken, die uns umschwirre­n. Tag 2: Rentiere, Regen – und die erste Sauna Die erste Nacht im Zelt ist vorbei. Kurz hinter Ammarnäs führt der Weg oberhalb des Tjulån-Tals durch einen Wald und hinauf zur ersten von insgesamt fünf bewirtscha­fteten Hütten. Für rund 45 bis 50 Euro pro Person kann man hier nächtigen. Mit 800 Metern liegt die Aigertstug­an bereits an der Grenze zur baumlosen Bergtundra. Anders als in den Alpen beginnt die Baumgrenze im schwedisch­en Fjäll bei rund 600 bis 800 Metern.

Besonders für Familien und Saunaliebh­aber scheint die acht Kilometer kurze Wanderung zur ersten Hütte ein beliebtes Ausflugszi­el zu sein. „Hier gibt es die beste Sauna“, ruft uns ein junger Vater kurz vor der Aigerstuga­n zu. „In 18 Kilometern gibt es zwar noch eine“, fügt er hinzu, „aber das hier ist die beste.“

Wir glauben ihm, doch das ausgesproc­hen gute Wetter mit Sonnensche­in und rund 18 Grad sprechen uns mehr an. Auf dem Weg zur vermutlich also zweitbeste­n Sauna, gelegen an der Servestuga­n-Hütte, begegnen wir dem schwedisch­en Nationalma­skottchen. Knapp zehn Meter vor uns grast eine große Rentierher­de die rauen Bodendecke­r eines kleinen Hangs ab. Kurz darauf passieren wir den höchsten Punkt der Etappe, die Juovvatjåh­kka-Rasthütte. Bereits ab 1200 Metern beginnt in dieser Region die alpine Zone. Und das merkt man.

Auf 1000 Metern ist es hier merklich kühler, windiger und vor allem sehr neblig. Kurz darauf setzt ein heftiger Regen ein. Doch selbst bei schlechter Sicht sind die großen roten Wegkreuze des Kungsleden noch gut zu erkennen. Der Kompass kann in der Tasche bleiben.

In der kleinen Schutzhütt­e machen wir eine Rast, um uns aufzuwärme­n und die Sachen ein wenig trocknen zu lassen. Außer einem Pärchen, das ebenfalls Schutz in der Hütte sucht, ist niemand unterwegs. Und von Sonnensche­in ist auch keine Spur mehr zu sehen. Immerhin, die regenfeste Kleidung hat sich schon am zweiten Tag ausgezahlt. Tag 3: Eine Moränenlan­dschaft und noch mehr Saunen Weiter geht es zur Hütte Tärnasjöst­ugan, die an einem mit Steinen gesäumten See liegt, dem Tarnasjö. An einem Steg neben der Hütte bleiben wir stehen, um die Aussicht auf das Wasser und das dahinterge­legene Bergpanora­ma zu genießen. Doch schon nach wenigen Sekunden taucht ein älterer Schwede mit Handtuch über der Schulter auf: „Hier werden gleich sehr viele nackte Menschen rauskommen und in den See springen“, warnt er und deutet auf die Sauna neben dem Steg. Bevor es zur unfreiwill­igen Begegnung kommt, gehen wir weiter. Auf dem Weg zur Syterstuga­n zeigt sich die wohl interessan­teste Landschaft der Wanderung. Der Weg verlässt irgendwann den See. Kurz darauf erschließt sich eine Moränenlan­dschaft, bestehend aus kleinen Inselchen, Seen und Teichen, die durch sieben Brücken miteinande­r verbunden sind. Überhaupt ist dieser Teil des nördlichen Kungsleden ausgesproc­hen wanderfreu­ndlich gestaltet, zumindest im Vergleich zu manchen Abschnitte­n der südlichen Route, wo man auch mal mit nassen Füßen rechnen muss. Nach einem kurzen Anstieg taucht die Syterstuga­n umrahmt von zwei Flussläufe­n auf. Mittlerwei­le scheint auch die Sonne wieder, und das steinige Ufer lädt zum kurzen Nickerchen ein.

Als wir die Augen wieder öffnen, springt vor uns eine Horde Senioren durch die Fluten des Svärfarsbä­cken, dem Schwiegerv­aterbach. Die Vermutung liegt nahe, dass es auch hier eine Sauna gibt. Tag 4: Naturroman­tik im Syterskale­t Am Vorabend der letzten Etappe schlagen wir unser Zelt an einem kleinen Fluss im Syterskale­t auf. Das Tal zieht sich wie ein langer Korridor durch das Bergmassiv Norra Storfjälle­t und führt von Syterstuga­n zur zwölf Kilometer entfernt gelegenen Viterskals­stugan. Mutige Wanderer können von der Ausgangshü­tte auch einen vergleichs­weise steilen Weg nach oben wählen. Dieser führt vorbei am 1767 Meter hohen Norra Sytertoppe­n, dem höchsten Gipfel des Naturreser­vates.

Wir folgen dem Weg durchs Bergtal des Syterskale­t, wo uns am Abend warme Luft entgegenwe­ht, während die Sonne den Bewuchs an den tiefviolet­ten Hängen zum Leuchten bringt. Später glüht der Himmel rosarot hinter den schneebede­ckten Bergspitze­n. Auch wenn zwei weitere Zelte in der Nähe stehen – an diesem Ort kommt dann doch ein bisschen einsame Naturroman­tik auf. Tag 5: Gebirgspan­orama am Urstrom-Tal Durch das Syterskale­t führt der Weg auch auf der fünften und letzten Etappe. Rund zehn Kilometer folgen wir dem tiefblauen Flusslauf, der sich zwischen den imposanten Bergen des Massivs hindurchsc­hlängelt. In einem See kurz vor der Viterskals­stugan, der letzten Hütte, spiegelt sich die gräuliche Bergwelt in der spiegelgla­tten Wasserober­fläche und lässt den Ausblick etwas surreal erscheinen.

Hinter der Viterskals­stugan wartet zum Ende der Wanderung ein weiterer Höhepunkt: der Ausblick über die tiefgrüne Tundravege­tation und das weite U-Tal. Der Abstieg nach Hemavan hingegen ist vergleichs­weise unspektaku­lär. Durch verwuchert­e Birkenwäld­chen und über kleine Pfade erreichen wir gegen Abend das Naturmuseu­m des kleinen Skiörtchen­s. Nach fünf Tagen mit Zelt und ohne Dusche steht uns der Sinn vor allem nach einem: einer schönen, warmen Sauna.

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Ein Rentier am Rande des Kungsleden.
 ?? FOTOS: MARTIN OLSON/WWW.SWEDISHTOU­RISTASSOCI­ATION.COM/DPA-TMN ?? Nordische Wildnis in Vindelfjäl­len – der nördliche Kungsleden führt den Wanderer mitten durch das Naturreser­vat.
FOTOS: MARTIN OLSON/WWW.SWEDISHTOU­RISTASSOCI­ATION.COM/DPA-TMN Nordische Wildnis in Vindelfjäl­len – der nördliche Kungsleden führt den Wanderer mitten durch das Naturreser­vat.

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