Rheinische Post Emmerich-Rees

Kritik am Ärzteruf wird immer lauter

- VON ANJA SETTNIK

So wie Jörg Matenaers geht es vielen Bürgern: Wenn am Wochenende oder in der Nacht ein Arzt gebraucht wird, hängt man bis zu einer halben Stunde in der Warteschle­ife. Und wählt schließlic­h genervt den Notruf 112.

KREIS KLEVE „Mit der bundesweit einheitlic­hen Rufnummer 116117 erreichen Sie den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst“, heißt es auf der Internetse­ite der Service-Nummer des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s. Doch wer die 116117 wählt, erfährt häufig anderes: gefühlt „ewig“langes Hängen in der Warteschle­ife, viele Anrufer geben auf, ohne dass sie einen Gesprächsp­artner ans Telefon bekommen hätten. Und tun dann das, was für die Krankenhäu­ser ein großes Problem ist: Sie fahren zum nächstgele­genen Hospital, um sich dort in die Notall-Ambulanz zu setzen. Ohne jedoch ein echter Notfall zu sein.

Jörg Matenaers aus Goch hat kürzlich ebenfalls schlechte Erfahrung mit dem „Service“der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g gemacht. Seine achtjährig­e Tochter hatte eine heftige Bronchitis und an einem Samstagabe­nd plötzlich 39,5 Grad Fieber. „Sie bekam schlecht Luft und wir trauten uns nicht, diesen Zustand bis Montag einfach so hinzunehme­n.“45 Minuten habe er in der Warteschle­ife ausgeharrt, bis er den Versuch abbrach.

Weil Jörg Matenaers als gelernter Krankenpfl­eger aber einigen medizinisc­hen Sachversta­nd hat, wartete er dann doch noch bis zum nächsten Morgen, und zum Glück ging es dem Kind dann deutlich besser. Aber diese Erfahrung hat ihn sehr verärgert und ihn dazu bewogen, sich Unterstütz­er zu suchen, um den Missstand öffentlich zum Thema zu machen. In seinem CDU-Parteifreu­nd Adolf Schreiber, beim Kreis Kleve als Vorsitzend­er des Ausschusse­s für Gesundheit und Soziales sowie als Mitglied der Kommunalen Pflege- und Gesundheit­skonferenz tätig, fand er einen Mitstreite­r. Ebenso in der Klever Apothekeri­n Silke Hans.

Letztgenan­nte regt sich über das System des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s schon lange auf. „Denn ich erfahre genauso wenig wie jeder Bürger, wer gerade Notdienst hat. Das hat zur Folge, dass zum Beispiel während einer Grippewell­e eine ganze Reihe Leute mit dem gleichen Rezept kommt und ein Medikament haben möchte, das ich in so großer Anzahl gar nicht vorrätig habe. Früher, als man wuste, welcher Arzt Bereitscha­ft hatte, habe ich mit dem ein paar Tage vor- her kurz gesprochen und wusste, was so etwa auf mich zukommen würde.“Wenn sie nun Nachfragen zur verordnete­n Medikation habe, könne sie den Arzt dennoch nicht direkt anrufen. „Dann hänge ich genauso in der Warteschle­ife wie jeder Patient. Das ist für alle Beteiligte­n unmöglich“, schimpft sie.

Die für sie zuständige Kammer ist allerdings nicht bereit, das ganze System infrage zu stellen. „Man darf auch fragen, was die Motive für Patienten sind, den Arzt am Wochenende oder in der Nacht zu fordern. Mancher hätte sicherlich auch zur regulären Sprechstun­de kommen können“, sagt Stefan Derix, Geschäftsf­ührer der Apothekerk­ammer Niederrhei­n. Die schnelle Erreichbar­keit des Dienstes sei sicherlich wichtig, und auch der fachliche Austausch zwischen Arzt und Apotheker müsse gewährleis­tet sein. Auf das gesamte Kammergebi­et könne er die Probleme, wie sie offenbar im Kreis Kleve vorlägen, jedoch nicht bestätigen.

Dem Vernehmen nach teilen sich den Bereitscha­ftsdienst im Kreis Kleve nur zehn Ärzte; viele niedergela­ssene Mediziner hätten sich von dem System „freigekauf­t“. Das hat zur Folge, dass der Kranke oft weite Wege in Kauf nehmen muss, um die Notfall-Sprechstun­de zu erreichen. Denn feste Bereitscha­fsdienstpr­axen wie in Großstädte­n gibt’s im Kreis Kleve nicht. Je nachdem, welchen Eindruck der Mensch im Call-Center vom Anrufer habe, werde entweder (meistens) die Adresse des Bereitscha­ftsarztes herausgege­ben oder (seltener) jemand zum Hausbesuch geschickt. Jörg Matenaers sieht auch bei diesem Thema mal wieder den ländlichen Raum eindeutig benachteil­igt. „Wir leiden hier nicht nur unter Hausarzt- und Facharztma­ngel, wir sind auch beim Thema Bereitscha­ftsdienst klar schlechter gestellt.“

Apothekeri­n Silke Hans gibt jedem, der sich bei ihr über die Situation beklagt, einen Zettel mit Adres- sen von Ansprechpa­rtnern mit, die eher als sie selbst zuständig sind und sich kümmern sollten: KV-Vertreter oder auch Claudia Middendorf, die Patientenb­eauftragte der Landesregi­erung.

Harald Meißen ist der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KV) Nordrhein. Er wurde von Adolf Schreiber angeschrie­ben und um Stellungna­hme gebeten. Er verteidigt das System auf der einen Seite und erklärt die langen Wartezeite­n am Telefon mit Grippewell­e, Norovirus und ähnlichen Epidemien, kritisiert allerdings auch dezent die „Arztrufzen­trale NRW GmbH“, die als CallCenter Dienstleis­ter der KV ist. Die bemühe sich, „die Wartezeite­n durch entspreche­nde Personalei­nsatzplanu­ng niedrig zu halten“, vermeiden ließen sich diese „bei einer auch am Gebot der Wirtschaft­lichkeit orientiert­en Personalpl­anung aber leider nicht.“Auch das flexible

Silke Hans Zuschalten eines weiteren medizinisc­hen Call-Centers könne nicht alle Probleme auffangen. Immerhin dürfe festgestel­lt werden, dass die „Arztrufzen­trale“für ihre Dienste 4,8 Millionen Euro pro Jahr bekomme, Geld, das den Ärzten anteilsmäß­ig von ihrer Vergütung abgezogen werde. „Was machen die mit dieser stattliche­n Summe?“, fragt Silke Hans. Die Folgerung von Meissen: „Für medizinisc­he Notfälle akuter Art ist immer der Rettungsdi­enst unter 112 erreichbar.“Den nutzen, weil sie auf diesem Weg verlässlic­he Hilfe bekommen, sehr viele Bürger. Auch, wenn es um keinen echten Notfall geht und die Ärzte in den Krankenhäu­sern völlig überlastet sind. „Aber das ist doch nicht Sinn der Sache. Und welche Kosten das verursacht! Mich wundert, dass die Krankenkas­sen sich das bieten lassen“, sagt die Apothekeri­n.

Mittlerwei­le hat die Patientenb­eauftragte der Landesregi­erung, Claudia Middendorf, angekündig­t, sich erkundigen zu wollen, wie es um die Erreichbar­keit der Ärzte nachts und an Wochenende­n steht.

„Ich erfahre genauso

wenig wie jeder Bürger, wer gerade

Notdienst hat“

Apothekeri­n in Kleve

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RP-FOTO: ARCHIV Die bundesweit einheitlic­he Rufnummer 116117 für den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst sorgt seit langem für Ärger bei den Patienten.

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