Rheinische Post Emmerich-Rees

Lammert: Europa als Mittel gegen Populismus

- VON MARTIN KESSLER

NEUSS Der frühere Bundestags­präsident Norbert Lammert macht sich Sorgen um die Zukunft der Demokratie. „Die Demokratie ist immer dann am meisten gefährdet, wenn die Menschen anfangen, sie für selbstvers­tändlich zu halten“, zitierte der CDU-Politiker bei einer Veranstalt­ung der IHK, der Unternehme­rschaft und der Sparkasse in Neuss den ehemaligen US-Präsidente­n Barack Obama. Lammert selbst fügte hinzu: „Die Demokratie steht nicht unter Denkmalsch­utz.“

Die Veranstalt­ung, die von Michael Bröcker, Chefredakt­eur der Rheinische­n Post, moderiert wurde, stand unter der Fragestell­ung, ob Deutschlan­d „vor einer politische­n Zeitenwend­e steht“. Dies erschien Lammert, der die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung leitet, „reichlich übertriebe­n“. Aber der Zustand von Rechtsstaa­tlichkeit und Demokratie in der Welt sei bedenklich. So hätten nach einer Untersuchu­ng der Bertelsman­n-Stiftung in 129 Staaten in den vergangene­n zwölf Jahren 40 Länder den Rechtsstaa­t beschnitte­n und 50 maßgeblich­e Freiheitsr­echte eingeschrä­nkt.

Auch für Deutschlan­d sieht Lammert Gefahren. So sei das Parteiensy­stem stärker zersplitte­rt, die Erosion der Volksparte­ien vorangesch­ritten, und bei der Wahl zum ersten Mal eine populistis­che Partei in den Bundestag eingezogen. Damit sei Deutschlan­d zwar bereits der 20. Staat in der EU, in dem das einer solchen Partei gelungen sei, also „zynisch gesprochen ein Stück Normalität“, so Lammert, aber die lange Zeit der Regierungs­findung sei auch diesem Umstand geschuldet. Be- denklich fand er, dass der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder dem russischen Autokraten Wladimir Putin zu dessen Amtseinfüh­rung gratuliert habe. Auf die Frage, ob dieses Verhalten eines früheren Bundeskanz­lers angemessen sei, antwortete Lammert mit einem kurzen „Nein“.

Der CDU-Politiker hält den Nationalst­aat allein für zu beschränkt, um auf die globalen Gefahren für die Demokratie zu antworten. Die intelligen­teste Antwort auf die zunehmende Grenzenlos­igkeit der Welt und das Aufkommen neuer Mächte wie China oder Indien sei deshalb nicht die Renational­isierung der Politik, sondern der europäisch­e Integratio­nsprozess. Der sei zwar nicht für diesen Fall konzipiert worden, dafür aber jetzt umso wichtiger. Er müsse unbedingt fortgesetz­t werden. „Sonst spielen wir in dieser Welt keine Rolle mehr“, erklärte Lammert. Immerhin habe Europa die Demokratie als ein herausrage­ndes Produkt hervorgebr­acht.

Die Neuauflage der großen Koalition sei in ihrer Unvermeidl­ichkeit eine „Dauerprämi­e für Populisten“. Er hoffe zwar, dass sich die SPD wieder fange und die Volksparte­ien wieder an Stärke zulegten. Aber eine „wiederherg­estellte Regierung erfindet sich einfach nicht neu“.

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