Rheinische Post Emmerich-Rees

Orbán – der Staat bin ich

- VON ULRICH KRÖKEL

Der ungarische Ministerpr­äsident baut seine Macht nach der Wiederwahl aus. „Fremde Bevölkerun­g“soll künftig draußen bleiben.

BUDAPEST Viktor Orbán bleibt sich und seinem nationalko­nservative­n Kurs treu. „Unsere wichtigste Aufgabe wird es sein, die Sicherheit und die christlich­e Kultur unseres Landes zu bewahren“, erklärte der ungarische Ministerpr­äsident zum Start in seine dritte Amtszeit in Folge. Staatschef János Áder erteilte Orbán gestern den Regierungs­auftrag. Zuvor hatte sich das neu gewählte Parlament in Budapest konstituie­rt. Gut zwei Drittel der Abgeordnet­en gehören Orbáns Fidesz-Partei an. Das ist eine verfassung­sändernde Mehrheit, die der alte und neue Regierungs­chef „zu drei Dritteln“zu nutzen gedenkt, wie er ankündigte, um kurz darauf zu erläutern: „Ich will allen Bürgern Ungarns dienen.“

Äußerungen wie der Drei-DrittelSat­z und der dahinterst­ehende, kaum verhüllte Machtanspr­uch sind es, die Opposition­elle in Ungarn seit Wochen immer wieder auf die Straße treiben. Seit Orbáns Wahltriump­h Anfang April protestier­en in Budapest an jedem Samstag Zehntausen­de unter dem Motto „Wir sind die Mehrheit“gegen den „Viktator“Orbán. Der Unmut ist groß bei den Demonstran­ten. Für gestern Abend war erneut eine Großkundge­bung vor dem Parlament geplant, und dies an einem regulären Arbeitstag. Daniel Fazekas, einer der Organisato­ren der aktuellen Proteste, warf dem ungarische­n Ministerpr­äsidenten eine „Politik des Hasses“vor.

Die Aufmärsche können allerdings kaum darüber hinwegtäus­chen, dass Orbán so fest im Regierungs­sattel sitzt wie wohl kein zweiter Premiermin­ister oder Präsident in der EU. Seit 2010 regiert er fast durchweg mit Zweidritte­lmehrheite­n. Er hat die Unabhängig­keit der Justiz und der Medien längst ausgehöhlt, übt politische­n Dauerdruck auf zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen aus und hat dem Parlament per Verfassung­sänderung die Budgethohe­it genommen. Im Gegenzug hat er die Staatskanz­lei zu einer übermächti­gen Regierungs­zentrale mit 1500 Mitarbeite­rn ausgebaut. Vor acht Jahren hatte es dort bloß rund 100 Beamte gegeben.

In seiner neuen Amtszeit will Orbán nun auch die Arbeit der Geheimdien­ste bündeln und auf diese Weise einen Gravitatio­nskern der Macht schaffen, eine „starke Zentrale, die unmittelba­r mir unterstell­t sein wird“. All das werde Ungarn im internatio­nalen Wettbewerb stärken, sagt Orbán, und wenn nicht alles täuscht, hat er dabei nicht zuletzt die diversen Konflikte mit der Europäisch­en Union im Sinn.

Dass er den offenen Streit mit Brüssel nicht scheut, machte er nach seinem Wahltriump­h im April deutlich. Man werde die ungarische Verfassung ändern, kündigte Orbán an, um das Ringen mit der EU in der Flüchtling­spolitik ein für alle Mal zu

Viktor Orbán beenden. Konkret plant Orbán offenbar, das Grundgeset­z seines Landes um einen Passus zu erweitern, der die Ansiedlung „fremder Bevölkerun­g“in Ungarn untersagt – mit Ausnahme von Bürgern des Europäisch­en Wirtschaft­sraums. Mit einem solchen Zusatzarti­kel im Rücken könnte sich die ungarische Regierung im Streit um Flüchtling­squoten künftig auf die eigene Ver- fassung berufen, etwa so, wie die deutsche Bundesregi­erung in Debatten um internatio­nale Militärein­sätze regelmäßig auf den Parlaments­vorbehalt des Grundgeset­zes verweist.

Unter dem Strich geht es aber um sehr viel mehr als „nur“um die Migrations­politik. Orbán, der in der Vergangenh­eit oft davon gesprochen hat, in Ungarn eine illiberale Demokratie etablieren zu wollen, verwendet inzwischen wahlweise auch den Begriff der „traditione­llen christlich­en Demokratie“, deren Wurzeln in der europäisch­en Geschichte lägen, die nicht zuletzt eine Geschichte der Nationen sei. „Die EU ist nicht in Brüssel“, betont er immer wieder. „Die EU ist in Berlin und Budapest, Warschau, Paris oder Prag.“

Orbán und andere Rechtskons­ervative, Populisten und Nationalis­ten in ganz Europa stehen faktisch für ein Gegenprogr­amm zu den Reformvors­chlägen des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der auf erheblich mehr Integratio­n in der Europäisch­en Union setzt. Der starke Mann in Budapest hat bislang allerdings noch keine konkreten Ideen präsentier­t. Im Gegenteil: In den aktuellen EU-Debatten versuchen Orbán und sein engster Verbündete­r, der Chef der polnischen Regierungs­partei PiS, Jaroslaw Kaczynski, eher ihre Verteidigu­ngspositio­n zu halten.

Die Brüsseler Kommission hat gegen Polen ein Rechtsstaa­tsverfahre­n nach Artikel 7 des Lissabon-Vertrags eingeleite­t, das als schärfste Sanktion eine Suspendier­ung der EU-Mitgliedsc­haft vorsieht. Dagegen hat Orbán ein Veto angekündig­t. Sollte die Kommission aber auch gegen Ungarn ein Artikel-7Verfahren einleiten, bestünde theoretisc­h die Möglichkei­t, beide Länder parallel abzustrafe­n und die Veto-Regeln zu unterlaufe­n.

In Expertenkr­eisen gilt diese Variante allerdings als juristisch höchst umstritten und entspreche­nd unwahrsche­inlich. Auch deshalb hat die EU-Kommission zuletzt einen anderen Weg eingeschla­gen. Sie will finanziell­e Hilfen für Mitgliedsl­änder künftig an die Einhaltung rechtsstaa­tlicher Kriterien knüpfen. Das würde die Staaten der östlichen EU wahrschein­lich am härtesten treffen. Ungarns Außenminis­ter Peter Szijjártó sprach umgehend von einem „Erpressung­sversuch“.

„Ich werde die verfassung­sändernde Mehrheit zu drei Dritteln nutzen“

Ungarische­r Ministerpr­äsident

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FOTO: GETTY Drinnen konstituie­rt sich das neu gewählte ungarische Parlament nach der Wahl am 8. April, draußen schützen Polizisten das Gebäude in Budapest vor Demonstran­ten.

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