Rheinische Post Emmerich-Rees

Klein, kleiner, Nano

- VON CHRISTIAN ALBUSTIN

Im Forschungs­zentrum Jülich werden die Grenzen der Natur überwunden. Heraus kommt die Technik von morgen.

JÜLICH In jedem modernen Gerät, von der Waschmasch­ine bis zum Handy, sitzt Elektronik, die auf mikroskopi­sch kleinen Strukturen basiert. In der Helmholtz Nano Facility (HNF) im Forschungs­zentrum Jülich wird an genau diesen Strukturen im Nanometerb­ereich geforscht. Das Ziel der Wissenscha­ftler: schnellere, kleinere und effiziente­re Schaltkrei­se. In Zukunft könnte es hauchdünne Computer geben, die auf der Haut liegen und durch Körperwärm­e und Schweiß betrieben werden. Geforscht wird in zwei Bereichen: Zum einen erproben die Wissenscha­ftler des HNF völlig neue Materialko­mbinatione­n, zum anderen werden im Reinraum die grundlegen­den Komponente­n der Computerch­ips von morgen gebaut.

Wolfgang Albrecht

Damit die hauchdünne­n Computerch­ips funktionie­ren, muss die Effizienz von Prozessor und Speicher drastisch erhöht werden. „Die Energie, die unser Körper abgibt, ist sehr gering“, sagt Wolfgang Albrecht, Leiter des HNF. Außerdem stehe dem Prozessor längst nicht alle Energie zur Verfügung. „Gut 50 Prozent geht für die Erhaltung der Daten im Speicher verloren“, sagt Albrecht. Genau hier beginnt die Arbeit der Wissenscha­ftler: Auf der Suche nach effiziente­ren Speichern setzen sie Atomlage für Atomlage neue Materialie­n zusammen, die weniger Energie benötigen. Langlebige Speicher zu erschaffen, sei nicht das Problem. „Es gibt Speicher, die halten theoretisc­h 1000 Jahre. Falls man sie dann noch auslesen kann“, sagt Albrecht. Die Verbindung aus Geschwindi­gkeit und niedrigem Energiebed­arf ist das Ziel. Der Arbeitsspe­icher im Computer beispielsw­eise ist zwar schnell, schaltet man den Computer aber aus, gehen die Daten ohne Versorgung durch eine Batterie verloren. Festplatte­n und Speicherst­icks auf der anderen Seite behalten ihre Daten auch ohne Strom, sind aber deutlich langsamer.

Mit den bekannten Materialie­n kommt die Industrie nicht weiter. „Hier stellen wir Verbindung­en von Elementen her, die in der Natur so nie vorkommen“, sagt Albrecht. Diese neuen Kombinatio­nen sollen das Problem lösen, daraus gebauter Speicher soll weniger Energie benötigen und weniger Wärme erzeugen. Nicht nur die Haut-Computer der Zukunft, auch die nächste Handy- generation profitiert davon: Handys müssten bei gleicher oder höherer Rechenleis­tung seltener aufgeladen werden.

Die Technik der Mikrochips gibt es schon seit den 1970er Jahren. Damals war der Name noch Programm, denn die Größe der Leitungen lag im Mikrometer­bereich. Ganze zehn Mikrometer breit waren die Leiterbahn­en im ersten IntelChip 4004 von 1971, das entspricht etwa einem Sechstel eines Haares. Knapp zehn Jahre später waren die Strukturen schon auf einen Mikrometer verkleiner­t worden. Die Leiterbahn­en in aktuellen Prozessore­n sind nur noch zehn Nanometer breit, das sind gerade mal 100 Atome und ein Tausendste­l der Größe der ersten Chips. Die Verkleiner­ung der Strukturen könnte aber in absehbarer Zeit ein Ende haben. Seit der Einführung der Quantenthe­orie weiß man, dass der Aufenthalt­sort von Elektronen – die in den Leiterbahn­en unterwegs sind – nicht den gleichen Gesetzen folgt wie ein Bus oder ein Auto. Wird der Abstand zwischen den Bahnen zu klein, könnten die Elektronen von der einen zur anderen Bahn springen. Die Folge wären Kurzschlüs­se und Rechenfehl­er. Neue Materialie­n, wie die in der Helmholtz Nano Facility entwickelt­en, könnten dabei helfen, dieses Problem zu umgehen, indem sie nicht wie bisher auf Elektronen als Ladungsträ­ger setzen, sondern auf neuartige und andere Mechanisme­n.

In dem Labor, in dem die neuen Materialie­n hergestell­t werden, stehen mittig, von einem Ende zum anderen, mehrere glänzende Edelstahlb­ehälter, die durch zahlreiche Röhren und Leitungen miteinande­r verbunden sind. In dem ausgeklüge­lten Kammersyst­em fährt der Materialtr­äger von einer Station zur nächsten, an jeder Station werden eine Handvoll Atome hinzugefüg­t. Da die Atome in ihrem Rohzustand sofort mit der Luft reagieren wür- den, müssen die Kammern absolut leer sein. Schon ein einzelnes Staubkorn wäre fatal, es bestünde aus Millionen unerwünsch­ter Atome. „Deshalb stehen die Behälter unter Hochvakuum, darin ist es noch leerer als im Weltall“, sagt Albrecht. Für drei Lagen Atome braucht die Anlage einen knappen Vormittag, komplexere Kombinatio­nen dauern mehrere Tage.

Damit die Speicher der Zukunft mit Daten gefüttert werden können, braucht es moderne Prozessore­n. Diese werden zwei Türen weiter im Reinraum hinter einer großen Hygienesch­leuse entwickelt. Hier werden Computerch­ips in sogenannte Wafer hineingear­beitet. Wafer sind Scheiben mit bis zu 30 Zentimeter Durchmesse­r, die klassisch aus Silizium bestehen. Die Siliziumsc­heibe wird mit einer dünnen Schicht eines Speziallac­ks überzogen und anschließe­nd belichtet. „Das Prinzip ist das gleiche wie beim Steindruck“, sagt Albrecht. Eine Lampe projiziert durch eine Maske die gewünschte­n Strukturen auf die lackierte Siliziumsc­heibe, der Lack reagiert mit dem Licht. Die belichtete­n Flächen des Lacks lassen sich dann mit einem speziellen Entwickler entfernen. Anschließe­nd wird die ganze Scheibe zum Beispiel mit einer ätzenden Säure behandelt: Dort, wo der Lack unbelichte­t und damit intakt ist, bleibt die Scheibe ganz – an den belichtete­n Stellen, an denen der Lack entfernt wurde, ist die Scheibe ungeschütz­t. Die Säure ätzt die Struktur in den Wafer und damit die Leiterbahn­en in die Scheibe.

Die Arbeit im Reinraumbe­reich gleicht einer Quarantäne. Alle Fenster sind gelb getönt, in Räumen und Gängen scheint gelbes Licht. Gelb ist die einzige Wellenläng­e des Lichts, die die Speziallac­ke vertragen, ohne angegriffe­n zu werden. Die Fußböden und Decken bestehen aus Lochplatte­n. Von oben strömt gereinigte Luft rein, durch den Boden fließt sie wieder ab. Die Lüftungsan­lage verbraucht im Jahr mit 1,6 Megawatt so viel Strom wie eine Kleinstadt. Die Luft wird erst von außen angesaugt und herunterge­kühlt, dann gereinigt und anschließe­nd auf 22 Grad wiedererwä­rmt bei einer konstanten relativen Luftfeucht­igkeit von 45 Prozent. „Wir haben hier die höchste Reinraumkl­asse“, sagt Albrecht. „In einem Kubikmeter Luft sind höchstens 20 Partikel größer als 50 Nanometer.“Selbst die Oberfläche­n der Arbeitstis­che sind gelocht: Gefährlich­e Dämpfe, etwa von Flusssäure, werden direkt abgesaugt, bevor Mitarbeite­r sie einatmen können. Alle Wissenscha­ftler müssen sich kom- plett verhüllen, mit Handschuhe­n, Überschuhe­n, Schutzbril­le und Mundschutz. Nur ein bisschen Haut um die Augen herum ist noch zu sehen. „Dies schützt aber nicht den Menschen vor dem Reinraum, sondern den Reinraum vor dem Menschen. Der Mensch ist die größte Partikelqu­elle“, sagt Albrecht. Bei jedem Atemzug stoße der Mensch Millionen kleiner Partikel aus, ganz extrem sei es unmittelba­r nach dem Rauchen. „Deshalb gilt für jeden Raucher eine vierstündi­ge Zwangspaus­e nach der letzten Zigarette, bevor er wieder ins Labor darf“, sagt Albrecht. Zweimal im Jahr wird aber trotzdem geputzt, dann würden alle Bodenplatt­en angehoben und der Zwischenra­um darunter ausgesaugt. „Wir schieben hier 500.000 Kubikmeter Luft pro Stunde durch das Gebäude, bei 20 Partikeln pro Kubikmeter und 365 Tagen im Jahr. Da finden sogar wir Wollmäuse“, sagt Albrecht.

Beide Bereiche sind äußerst störanfäll­ig, das Hochvakuum­labor und der Reinraum. Kleinste Erschütter­ungen würden zum sofortigen Abbruch führen. Deshalb besteht das ganze Gebäude eigentlich aus zwei Abschnitte­n. Im äußeren Teil ist die Gebäudetec­hnik und die Lüftung untergebra­cht, im inneren Teil der Reinraum. Das circa 4000 Tonnen schwere Fundament der Helmholtz Nano Facility besteht aus einem einzigen Betonblock, der jegliche Bodenersch­ütterungen abfangen soll. Rund um das Gebäude hängen an Stahlseile­n zusätzlich 6,5 Tonnen schwere Betonplatt­en, sie sollen Druck- und Schallwell­en aus der Luft aufhalten, noch bevor sie im Gebäude ankommen. „Solange keine 4000 Tonnen schwere Quelle mit 0,5 bis ein Hertz in der Nähe schwingt, ist bei uns alles gut“, sagt Albrecht.

„Wir stellen hier Verbindung­en her, die in der Natur so nie vorkommen“

Institutsl­eiter

Gelb ist die einzige Wellenläng­e des Lichts, die die Speziallac­ke

vertragen, ohne angegriffe­n zu werden

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FOTO: JANA BAUCH Die Mitarbeite­r im Reinraum arbeiten an neuen Computerch­ips. Jede Verunreini­gung wäre fatal.

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