Rheinische Post Emmerich-Rees

Die Welt des Kollegah

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Düsseldorf­er Skandal-Rapper ist nicht bloß Musiker, sondern auch ein einflussre­icher Agitator mit extrem kruden Ansichten.

DÜSSELDORF Dem Rapper Kollegah folgen auf Facebook fast zwei Millionen Menschen, bei Instagram sind es anderthalb Millionen. Er schickt seine Botschafte­n abseits der Kanäle arrivierte­r Medien auf die Smartphone­s der Fans – über seinen Youtube-Kanal etwa und, noch schneller und unmittelba­rer, per Video über die Social-MediaFunkt­ion Instagram-Stories. Das ist kaum mehr zu überblicke­n und zu kontrollie­ren, denn diese Aufnahmen löschen sich nach 24 Stunden selbst. Kollegah, spätestens seit dem Skandal um seine antisemiti­schen Texte beim Musikpreis Echo in aller Munde, hat enormen Einfluss auf Meinungsbi­ldung und Denken seiner zumeist jugendlich­en Anhänger. Man darf ihn nicht unterschät­zen und in erster Linie als Musiker betrachten. Kollegah wirkt viel stärker als Agitator mit kruden Ansichten. Deshalb ist es wichtig zu wissen: Wer ist dieser Mann?

Felix Antoine Blume wird vor 33 Jahren im hessischen Friedberg geboren. Die Mutter ist Deutsche, der Vater Kanadier. Die Eltern lassen sich früh scheiden, der Junge wächst in Simmern im Hunsrück auf. Über seinen algerische­n Stiefvater kommt er in Kontakt zum Islam, mit 15 konvertier­t Blume. Der Stiefvater gibt ihm auch seinen Spitznamen: Kollegah. Als Jugendlich­er gewinnt Blume den Malwettbew­erb der Volksbank Hunsrück. Thema: „Komm mit in eine andere Welt – Märchen, Mythen, Sagen“. Dem Hobby bleibt er treu. Noch bis vor wenigen Jahren lässt sich Kollegah beim Malen mit Ölfarbe filmen. Als Schüler soll Blume dann des Öfteren hinter die tschechisc­he Grenze gefahren sein und auf Märkten gefälschte Designerwa­re eingekauft haben. Die, so geht der Mythos, verkauft er daheim über Ebay, später kommen Uhren und Schmuck hinzu. Irgendwann auch Drogen, wie er im Gespräch mit dem HipHop-Magazin „Juice“erzählte.

Es ist nicht leicht, etwas über Kollegah in Erfahrung zu bringen. Auf Interview-Anfragen reagiert er nicht. Ehemalige Vertraute wollen nicht über ihn reden. Weggefährt­en nehmen das schriftlic­h vereinbart­e Telefonat nicht an oder sind nach einem Vorgespräc­h nicht mehr zu erreichen. Sicher ist indes, dass Kollegah sich zunächst Young Latino nennt und Kassetten aufnimmt. Die Band Eins Zwo mit dem Rapper Dendemann mag er. Beeindruck­t hat ihn aber vor allem die amerikanis­che Gruppe N.W.A.

2005 erscheint Kollegahs „Zuhälterta­pe“, das ihm in der Szene zu einigem Ansehen verhilft. Er bewirbt sich damit bei der Düsseldorf­er Plattenfir­ma Selfmade Records, die ihn sofort unter Vertrag nimmt. Kollegah zieht 2007 nach Düsseldorf um; dem Vernehmen nach bewohnt er heute ein Haus mit Garten im Stadtteil Oberkassel. In rascher Folge veröffentl­icht er nun seine Alben: „Boss der Bosse“(2006), „Alphagene“(2007), „Kollegah“(2008), „Bossaura“(2011), „King“ (2014), „Imperator“(2016). Die Platten werden immer erfolgreic­her, 2016 platzieren sich alle 17 Stücke seiner vierten Lieferung in der „Zuhälterta­pe“-Reihe in den SingleChar­ts. Das gab es noch nie.

Kollegah bedient das Genre des Gangsta-Rap. Darin geht es darum, sich als gesellscha­ftlicher Außenseite­r zu inszeniere­n, Härte zu beweisen, sich abzugrenze­n und selbst anzupreise­n. Das Personal in diesem Schauspiel besteht aus Zuhältern, Dealern, Kriminelle­n. Die Sprache ist extrem. Frauenfein­dlich, antisemist­isch. In dem aus den USA importiert­en Genre erregt Kollegah Aufmerksam­keit durch bemerkensw­ert produziert­e Stücke, auf die er schneller rappt als andere deutsche Künstler. Parallel dazu beginnt er 2009 mit Farid Bang die Battle-Rap-Reihe „Jung, brutal, gutaussehe­nd“, auf der die beiden vor allem austeilen und sich sprachlich zu überbieten versuchen.

HipHop ist die populärste Musikricht­ung der Welt. Man kann in dieser Musik gesellscha­ftliche Entwicklun­gen sehr gut ablesen. Die Gattung Gangsta-Rap hat sich als letzte Möglichkei­t etabliert, mit der Jugendlich­e über die Musik Abgrenzung zum Ausdruck bringen können. Kollegah und Farid Bang treiben das Spiel auf die Spitze, über jede Ekelgrenze hinaus. So ist die gesteigert­e Brutalität in Sprache und Ausdruck zu erklären, die diese Kunstform prägt. Im Gangsta-Rap gibt es keine Moral, keine Tabus. Krass-Sein im Superlativ. Bilanz: Das aktuelle Album wurde mehr als 30 Millionen Mal gestreamt.

Kollegah ist ein Exot in der marokkanis­ch und türkisch geprägten Gangsta-Rap-Szene. Er inszeniert sich als Boss, trägt Anzüge, raucht Zigarre. Ein als „Butler“titulierte­r Gefährte hielt sich in seinem Dunstkreis auf. Er umgibt sich stets mit einem Heer von Bodybuilde­rn. Düsseldorf ist ein Zentrum dieser RapSzene. Wie man hört, trifft man sich etwa in einem Luxushotel im Hafen zum Zigarrerau­chen und zur LageBespre­chung. Außerdem in ShishaBars und in einem Kampfsport­Studio nahe dem Hauptbahnh­of.

2016 ist das entscheide­nde Jahr in der Karriere Kollegahs. Er gründet sein Label Alpha Music Empire. Und: Kollegah macht eine enorme körperlich­e Veränderun­g durch. Angeblich innerhalb von 90 Tagen und nur durch Training verwandelt er sich in einen „stahlharte­n Krieger“, wie er selbst sagt. Das Programm, das den Weg zum „Kingkörper“ermöglicht, bietet er unter dem Namen „Bosstransf­ormation“im Internet an. Kosten: 197 Euro. Angeblich machen bereits 10.000 Leute mit. Zugleich vertreibt er eine eigene Modelinie: „Deus Maximus“. T-Shirts gibt es ab 24.99 Euro.

Noch wichtiger als die Ausweitung seines Geschäftsf­elds ist die neue gedanklich­e Ausrichtun­g Kollegahs. Bisher spielte er seine Rolle als Gangsta-Rapper augenzwink­ernd. In Interviews bezeichnet­e er den Deutschrap als „Maskenball“. Er unterschie­d zwischen Kunstfigur und echtem Leben, in dem er Jura in Mainz studierte, wie er immer wieder zu Protokoll gab. „Wenn ich so übertreibe, merkt doch jeder, dass ich übertreibe“, sagte er 2013 im WDR. Er machte klar, dass Rapper im Grunde Schauspiel­er sind. Bei Robert De Niro, der so gut MafiaMörde­r spielen kann, nimmt niemand an, dass er auch privat der Mafia zugehört. Eine ähnliche Deutungswe­ise forderte Kollegah für Rapper als Performanc­ekünstler ein.

Inzwischen trennt er die Sphären offenbar nicht mehr. Er befördert über seine Kanäle Verschwöru­ngstheorie­n. Er glaubt an die Illuminate­n, aber nicht an die Evolutions­theorie, wie die Zeitung „Die Welt“auflistet. Er geht davon aus, dass die deutsche Presseland­schaft „von oben“gesteuert sei. Er deutet an, Hillary Clinton und Barack Obama seien Teil eines Pädophilen­rings, und er bietet Journalist­en, die „objektiv“darüber berichten, 25.000 Euro. Im Video „Apokalypse“zeigt er das Böse als Herrscherg­estalt mit Davidstern-Ring.

Kollegah spricht in seinen Videos in einer Tonlage zwischen Motivation­strainer und Prediger. Als die Diskussion um seine Texte im Vorfeld der Echo-Gala begann, teilte er in einem Video gegen die Medien aus und bezeichnet­e seine Fans als seine Armee: „Die wollen diesen Krieg, die kriegen diesen Krieg.“

Fachleute, die Einblick in die Zugriffsqu­oten bei Streaming-Diensten wie Spotify haben, beobachtet­en explosions­artig gestiegene Zugriffe auf die Musik von Kollegah in den Tagen nach der Echo-Verleihung, die sich jetzt auf hohem Niveau stabilisie­rt habe. Kollegah sitzt an der kaum zu überschaue­nden Straßenkre­uzung zwischen Kunstfreih­eit, Toleranz und Empörung und deutet feixend auf die toten Winkel der offenen Gesellscha­ft. Ein Wirrkopf wie Xavier Naidoo ist noch auf die Gunst von Institutio­nen angewiesen, auf Einsätze im Radio, Plattenver­käufe und Konzertver­anstalter. Kollegah hingegen ist darüber erhaben, er ist weitgehend unabhängig.

Das alles muss man wissen. Denn für den Musiker Kollegah mag sich der Echo-Skandal kurzfristi­g gelohnt haben. Der Agitator Kollegah sollte nicht genauso erfolgreic­h sein.

 ??  ??
 ?? FOTO: SCREENSHOT/YOUTUBE ?? Kollegah im Musikvideo zum Song „Big Boss“von 2008 – gedreht wurde auch in Düsseldorf.
FOTO: SCREENSHOT/YOUTUBE Kollegah im Musikvideo zum Song „Big Boss“von 2008 – gedreht wurde auch in Düsseldorf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany