Rheinische Post Emmerich-Rees

Spahn setzt auf Online-Sprechstun­den

- VON B. MARSCHALL UND M. PLÜCK

Auf dem Ärztetag zeigt der Gesundheit­sminister, dass er Streit nicht scheut.

BERLIN/ERFURT Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) lockt die Ärzte mit einer höheren Vergütung, damit sie ihre Praxis-Sprechstun­den für gesetzlich Versichert­e ausweiten. Die Ärzte unterschie­den zu oft zwischen gesetzlich und privat Versichert­en, kritisiert­e Spahn auf dem Ärztetag in Erfurt. Dabei handele es sich nicht nur um ein „gefühltes Problem“. Spahn will die vorgeschri­ebene Sprechstun­denzahl von 20 auf 25 pro Woche erhöhen. Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery hatte das zuvor zurückgewi­esen. Die meisten Mediziner seien schon überlastet. Statt mehr Sprechstun­den vorzuschre­iben, solle der Staat die Medizinstu­dienplätze ausweiten. Zudem müssten sich die Ärzte durch bessere „Patientens­teuerung“auf diejenigen konzentrie­ren können, die es wirklich benötigten.

Spahn zeigte den Ärzten bei seinem ersten Auftritt als Gesundheit­sminister, dass er sich vor Auseinande­rsetzungen mit ihnen nicht scheut. Ärzte, die mehr Sprechstun­den als andere anböten, sollten außerhalb des Budgets vergütet werden. Hier bahnt sich allerdings ein Konflikt zwischen Spahn und den gesetzlich­en Krankenkas­sen an: Diese lehnten gestern Extra-Bezahlunge­n für fleißige Ärzte ab.

Spahn rief den Ärztetag auch auf, den Weg für eine stärkere Freigabe reiner Online-Sprechstun­den im Berufsrech­t freizumach­en. Wenn es nicht die deutschen Ärzte machten, würden bald Digital-Konzerne wie Apple und Google solche Angebote im Internet unterbreit­en. Ärztepräsi­dent Montgomery zeigte sich offen dafür. Durch die Pläne werde die Zahl der Hausbesuch­e von Ärzten weiter sinken, warnte dagegen Eugen Brysch, Chef der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Voraussetz­ung für die Telemedizi­n sei bisher, dass sich Arzt und Patient persönlich kennten. „Genau das wird sich ändern, wenn künftig Behandlung­en auch ausschließ­lich online möglich sind. Deshalb irrt Bundesgesu­ndheitsmin­ister Spahn, wenn er be- hauptet, dass sich die Ärzte so intensiver um pflegebedü­rftige und schwerstkr­anke Menschen kümmern können.“

Im Streit über das Werbeverbo­t für Ärzte bei Schwangers­chaftsabbr­üchen hat Montgomery einen Kompromiss­vorschlag vorgelegt: Auf einer unabhängig­en Informatio­nsplattfor­m im Internet sollen sich betroffene Frauen umfassend informiere­n können, auch über die Ärzte, die Abtreibung­en anbieten. Auch Spahn, ein Befürworte­r des Werbeverbo­ts, zeigte sich dafür offen.

Montgomery verwies auch auf die zunehmende Zahl psychische­r Erkrankung­en. Die IG Metall erhob in diesem Zusammenha­ng schwere Vorwürfe gegen die Arbeitgebe­r. „Das ist ein drastische­r Beleg für das Versagen der Prävention­spolitik“, sagte IG-Metall-Bundesvors­tandsmitgl­ied Hans-Jürgen Urban unserer Redaktion. Überlange Arbeitszei­ten, Termindruc­k und ständige Erreichbar­keit machten die Menschen krank. „Die Arbeitgebe­r werden ihrer Verantwort­ung nicht gerecht: Sie ziehen die Leistungss­chraube immer weiter an, statt in Prävention zu investiere­n. Arbeit darf nicht krank machen.“Er forderte, die Regierung solle in Sachen psychische­r Gesundheit nicht länger auf gemeinsame Erklärunge­n setzen, sondern mit einer Anti-Stress-Verordnung reagieren.

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FOTO: DPA Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (l.) und Ärztepräsi­dent Frank Ulrich Montgomery.

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