Von Wehner bis Weidel: Ordnungsrufe im Bundestag
Im neuen Bundestag geht es wieder provokanter zu – gestern wurde die AfD-Fraktionschefin gerügt. Das ist aber kein Vergleich zu früher.
BERLIN Das ging Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble zu weit, als AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in der Debatte über den Kanzleretat provozierend feststellte: „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.“Buhrufe und laute Proteste waren die Reaktion, Unionsfraktionschef Volker Kauder schäumte: Wer so über andere Menschen spreche, der habe mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun. „Dafür sollten Sie sich schämen“, rief er Weidel zu. Bei Twitter kritisierte Siemens-Chef Joe Kaeser, Weidel schade dem Ansehen Deutschlands, und schrieb: „Lieber ,Kopftuchmädel’ als ,Bund Deutscher Mädel’.“
Schäubles Reaktion war nüchterner: Weidel habe alle Frauen diskriminiert, die ein Kopftuch tragen. „Dafür rufe ich Sie zur Ordnung“, stellte er fest. Das ist eine Möglichkeit, für Ordnung im Ablauf der Beratungen zu sorgen. Der Sitzungsleiter kann Rügen erteilen, den Redner dazu verweisen, zur Sache zu reden, einen förmlichen Ordnungsruf aussprechen, „unparlamentarische“Äußerungen zurückweisen, dem Redner das Wort entziehen oder ihn gar ganz von der Sitzung ausschließen. In dieser Wahlperiode bewirkte Weidel bereits die Ordnungsmaßnahme Nummer vier.
Das ist viel im Vergleich zu den zurückliegenden Wahlperioden. In der letzten gab es zwei, in der vorletzten eine und davor ebenfalls nur zwei. Aber es ist noch sehr übersichtlich angesichts der turbulenten Zeiten nach dem Einzug der Grünen, als in der Wahlperiode von 1983 bis 1987 insgesamt 132 Ordnungsrufe verzeichnet wurden. Und gleich in der allerersten Legislatur von 1949 bis 1953, als im Parlament elf Parteien gegeneinanderstanden, registrierten die Sitzungsstatistiker 156 Ordnungsrufe, 58 Verweisungen, 40 Wortentziehungen, 17 Sitzungsausschlüsse und sogar zwei Unterbrechungen der Sitzung wegen anhaltender Störungen.
Einer der berühmtesten Sätze in diesem Zusammenhang ist der des Grünen Joschka Fischer, der 1984 dem Vizepräsidenten Richard Stücklen von der CSU zurief: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub.“Doch einen Ordnungsruf gab das nicht, weil Fischer zu diesem Zeitpunkt bereits von der Sitzung ausgeschlossen worden war. Tags darauf bat er um Entschuldigung. Die ewige Bestenliste
der Ordnungsrufe führt der langjährige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner an. Er provozierte gern, nannte einen CDUAbgeordneten mit dem Namen Wohlrabe „Übelkrähe“und ließ sich auch provozieren. Die Voraussage, wenn er so weitermache, bekomme er sicherlich bald den nächsten Ordnungsruf, quittierte er mit: „Sie verwechseln den Bundestag mit den Oktoberwiesn, Sie Flaschenkopf.“Doch auch die AfD hat ihre Spuren im Parlamentarismus bereits hinterlassen. Der jetzt im Bundestag sitzende Politiker Stephan Brandner brachte es im Landtag von Thüringen auf 32 Ordnungsrufe.