Rheinische Post Emmerich-Rees

Wehrhahn-Verdächtig­er kommt frei

- VON WULF KANNEGIESS­ER

Wende im Prozess um den Anschlag in Düsseldorf vor 18 Jahren: Das Landgerich­t zweifelt an Aussagen von Belastungs­zeugen und hebt den Haftbefehl gegen den Angeklagte­n auf. Das löst Kritik aus.

DÜSSELDORF Im Prozess um den Sprengstof­fanschlag am Düsseldorf­er S-Bahnhof Wehrhahn im Jahr 2000 kann der angeklagte ehemalige Soldat offenbar mit einem Freispruch rechnen. Das Landgerich­t hob den Haftbefehl gegen den 51Jährigen gestern überrasche­nd auf; der erst 2017 festgenomm­ene Mann wurde aus der Untersuchu­ngshaft entlassen. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm versuchten Mord in zwölf Fällen und die Herbeiführ­ung einer Sprengstof­fexplosion aus rechtsextr­emen Motiven vor.

Am 27. Juli 2000 war eine mit dem Sprengstof­f TNT gefüllte Rohrbombe am Wehrhahn explodiert. Dabei wurden zehn Menschen, überwiegen­d jüdische Migranten aus der ehemaligen Sowjetunio­n, zum Teil schwer verletzt. Ein ungeborene­s Baby wurde im Mutterleib getötet.

Nach vier Monaten Verhandlun­gsdauer, der Anhörung von 60 Zeugen und drei Gutachtern befanden die Richter: Die Aussagen von Belastungs­zeugen gegen den Angeklagte­n seien „nicht hinreichen­d belastbar“, um den Mann noch län- ger in Haft zu halten. Er bleibe zwar tatverdäch­tig, sei aber nicht mehr als „dringend tatverdäch­tig“einzustufe­n. Die Staatsanwa­ltschaft, die den früheren Militaria-Händler fast 18 Jahre nach dem Bombenansc­hlag angeklagt hatte, will gegen die Freilassun­g eine Beschwerde beim Oberlandes­gericht prüfen.

In einem vorläufige­n Fazit hatten die Ankläger erst Anfang der Woche nach 25 Prozesstag­en betont, sie hielten den Angeklagte­n für überführt. So habe er etlichen Zeugen einen Anschlag angekündig­t; einem Mitgefange­nen habe er später sogar seine Urhebersch­aft gestanden.

Zudem hatten die Staatsanwä­lte erklärt, der Mann habe sich durch „Täterwisse­n“selbst überführt – er habe nur wenige Minuten nach der Detonation in einem Telefonat erklärt, er fürchte, jetzt wegen der Explosion festgenomm­en zu werden. Dass es sich nicht um einen Unfall, sondern um eine vermutlich fremdenfei­ndliche Straftat handelte, habe zu diesem Zeitpunkt aber lediglich der Täter wissen können. Die Verteidigu­ng hatte in ihrer Zwischenbi­lanz solchen Rückschlüs­sen allerdings widersproc­hen.

Mit seinem 51-seitigen Beschluss widerspric­ht das Landgerich­t seinen eigenen Ankündigun­gen. Eigentlich wollten die Richter ihre eigene Zwischenbe­wertung ebenfalls in dieser Woche in öffentlich­er Verhandlun­g präsentier­en. Das wurde dann aber vom Gericht kurzfristi­g abgesagt, der für gestern vorgesehen­e Termin gestrichen.

Der Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, Michael Szentei-Heise, sagte: „Ein zunächst enttäusche­ndes Ergebnis, weil eine solche Tat dadurch wohl ungesühnt bleibt. Aber auch hier gilt der Grundsatz: im Zweifel für den Angeklagte­n. Das hat man zu akzeptiere­n.“Szentei-Heise hatte den Prozess teilweise mitverfolg­t; sechs der Opfer waren Juden.

Der Verteidige­r des Angeklagte­n, Olaf Heuvens, sagte, die Entwicklun­g sei nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht überrasche­nd, allenfalls der Zeitpunkt.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextr­emismus im Regierungs­bezirk Düsseldorf zeigte kein Verständni­s für die Entscheidu­ng. Der Angeklagte habe versucht, „sich als harmlosen Spinner darzustell­en. Es sieht fast so aus, als könnte er damit durchkomme­n“, sagte Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung. Ein Anschlag ohne die Beteiligun­g des Angeklagte­n sei aber nicht denkbar: „Die Indizienke­tte der Staatsanwa­ltschaft zeichnet ein deutliches Bild.“(mit epd)

Newspapers in German

Newspapers from Germany