Rheinische Post Emmerich-Rees

Wo beginnt Rassismus?

- VON DOROTHEE KRINGS

Stereotype helfen, sich in einer komplexen Welt zurechtzuf­inden. Doch wer verdrängt, dass Gruppen nie homogen sind, es also etwa „die Flüchtling­e“nicht gibt, dessen Weltbild wird immer enger.

DÜSSELDORF Nun ist so viel von Gruppen die Rede, von „den Muslimen“, „den Flüchtling­en“, „den Biodeutsch­en“. Und das ist ja auch notwendig, wenn man in einer immer komplizier­teren Welt gesellscha­ftliche Entwicklun­gen in den Blick nehmen will. Doch wenn es Probleme gibt zwischen diesen Gruppen, wenn sich Altkunden an einer Lebensmitt­el-Ausgabe bedrängt fühlen von „den Migranten“oder wenn in Berlin arabisch sprechende junge Männer auf Gleichaltr­ige losgehen, weil die eine jüdische Kippa tragen, dann ist da diese Schwierigk­eit: Probleme müssen benannt werden, um sie anzugehen. Doch wer sie Gruppen zuschreibt, findet sich bald im Feld der Verallgeme­inerungen und Stereotype wieder. Laden die sich emotional auf, etwa weil Vorfälle sich häufen, entstehen Vorurteile. Dann reden die einen vom „importiert­en Antisemiti­smus“, den „die Flüchtling­e“ins Land gebracht hätten, während die anderen auf Polizeista­tistiken pochen und antisemiti­sche Straftaten nur bei Rechten angesiedel­t wissen wollen. Dabei gibt es natürlich beides. Beides müsste diskutiert werden, ohne zu diffamiere­n, ohne zu relativier­en, ohne sich in Einzelfäll­en zu verheddern. Wie also denken, reden, sprechen über solche Themen?

„Die Schublade immer ein bisschen offen lassen“, rät Alexander Reeb, interkultu­reller Trainer und Leiter eines Seminaranb­ieters mit Sitz in Göttingen. Stereotype seien durchaus nützlich, um sich in einer komplexen Welt zu orientiere­n. Doch sollte man Gruppen nie für homogen halten, sondern sich bewusst machen, dass Menschen auch innerhalb einer Gruppe unterschie­dlich sind. „Sonst hindern einen bestimmte Erlebnisse daran wahrzunehm­en, dass man mit anderen Vertretern einer Gruppe auch ganz andere Erfahrunge­n machen kann“, so Reeb. Das sogenannte Weltbild werde dann immer enger.

In seinen Seminaren macht Reeb ein einfaches Spiel: Er fordert die Kursteilne­hmer auf, aus dem Fenster zu schauen und zu notieren, was sie sehen. Vergleiche­n sie nach ein paar Minuten ihre Notizen, haben sie höchst unterschie­dliche Beobachtun­gen gemacht. „Das zeigt, wie unterschie­dlich wir Menschen denken und wahrnehmen“, sagt Reeb. Wer jedoch von „den Ausländern“oder „den AfD-Wählern“als homogener Gruppe ausgehe, gestehe den Menschen in dieser Gruppe Unterschie­de nicht mehr zu.

Wenn dann noch Machtgefäl­le ins Spiel kommen, wenn ein Lehrer, ein Polizist oder ein Wohnungsma­kler in einer konkreten Person alle anderen erblickt, die ähnlich aussehen und denen er negative Eigenschaf­ten unterstell­t, wird aus Vereinfach­ung Diskrimini­erung. Der Einzelne wird dann etikettier­t, er kann nicht mehr für sich selbst stehen, sondern wird nur noch als Vertreter einer Gruppe behandelt, der dies und das zugeschrie­ben wird. Dann werden Menschen mit dunkler Hautfarbe eben häufiger gefilzt. Kinder aus HartzIV-Familien zur Hauptschul­e geschickt. Oder Flüchtling­e bekommen keine Wohnung.

Mit alltäglich­em Rassismus kennt Mohamed Amjahid sich aus. Er ist in Deutschlan­d und Marokko aufgewachs­en, lebt heute als Journalist in Hamburg und Berlin und hat ein Buch darüber geschriebe­n, wie es ist, wenn man nach seinem Aussehen und der vermuteten kulturelle­n Zugehörigk­eit behandelt wird, wie es also ist „unter Weißen“– so der Titel seines Buchs. Darin beschreibt er, wie Leute plötzlich ihre Handtasche umklammern, wenn er sich in der Bahn neben sie setzt. Oder was passiert, als er in einer Drogerie zu viel gezahltes Wechselgel­d zurückgibt: „Von Leuten wie Ihnen hätte ich das nie erwartet“, sagt der Kassierer.

„Rassismus ist eine Methode, sich über andere zu erheben, um sich besser zu fühlen. Dieses Verhalten wird er-

Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt.

Es leben zu viele Ausländer in Deutschlan­d. Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land. Die meisten Asylbewerb­er werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt. Ich finde es empörend, wenn sich die Langzeitar­beitslosen auf Kosten der Gesellscha­ft ein bequemes Leben machen. Wer irgendwo neu ist, sollte sich erst mal mit weniger zufrieden geben. lernt“, so Amjahid, „das sage ich auch, um mir nicht die Hoffnung zu nehmen, dass man rassistisc­hes Denken überwinden kann, obwohl es oft tief in Menschen verankert ist.“Seine Eltern hatten diese Hoffnung irgendwann nicht mehr. Sie waren in den 60er Jahren als Gastarbeit­er nach Deutschlan­d gekommen. Der Vater hatte in Frankfurt am Fließband gearbeitet, die Mutter in Teilzeit als Reinigungs­kraft. Doch als gleichwert­ig anerkannt fühlten sie sich nie. Darum entschiede­n sie sich 30 Jahre später, nach Marokko zurückzuke­hren. Mohamed Amjahid war damals sieben Jahre alt, erst zum Studium ging er wieder nach Deutschlan­d und erlebt nun, wie sich nach Ereignisse­n wie der Kölner Silvestern­acht die Wahrnehmun­g verändert hat. Wie etwa junge Marokkaner nur noch als „die Anderen“gesehen werden. „Viele Menschen, die nie Diskrimini­erung erfahren müssen, spüren gar nicht, wie privilegie­rt sie sind“, sagt Amjahid. Wenn man sich aber selbst hinterfrag­e, offen dafür sei, eigene Vorurteile zu erkennen, sei das schon „die halbe Miete“.

Doch in Zeiten, die viele Menschen als unüberscha­ubar empfinden, wächst das Bedürfnis nach Vereinfach­ung – und Vereindeut­igung. Das scheint die Hemmschwel­le beim Beurteilen zu senken. Dann erwischt man sich bei dem Gedanken, dass der Taxifahrer, der einen gerade geschnitte­n hat, schon wieder „so ein südländisc­her Typ war“, der deutsche Verkehrsre­geln „wohl für eine Beschränku­ng seiner Männlichke­it hält“. Ist man Rassist, wenn man so etwas denkt? Oder erst, wenn man es sagt? Oder es öffentlich äußert?

Alexander Reeb sieht das entspannt. „Die Gedanken sind frei“, sagt er. Und natürlich verursacht­en Männer in einem bestimmten Alter häufiger Unfälle, da müsse man nur Versicheru­ngen fragen. „Allerdings kann die Zuordnung solchen Verhaltens zu einer Gruppe wie ‚südländisc­her Typ‘ verhindern, dass man andere Fahrer dieses Typs wahrnimmt, die brav und langsam fahren“, sagt Reeb. Die Realität ist verwirrend. Darum helfen Stereotype – solange wir ihnen misstrauen.

Ist man Rassist, wenn man so etwas denkt? Oder erst, wenn man es sagt? Oder es öffentlich äußert?

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