Rheinische Post Emmerich-Rees

Tornado-Opfer halten zusammen

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Der Tornado hat im Kreis Viersen erhebliche Schäden angerichte­t. Besonders betroffen ist das Dörfchen Boisheim. Dort deckte der Wirbelstur­m besonders viele Dächer ab. Die Anwohner helfen sich gegenseiti­g beim Aufräumen.

VIERSEN Ewald Peltzer ist gerade mit der Gartenarbe­it fertig, als es plötzlich ein bisschen windiger wird. Der 77-Jährige will deshalb vor sein Haus gehen, um die Mülltonnen reinzustel­len. „Da war plötzlich alles grau und dunkel am Himmel. Und es gab so eine breite Front, die auf unser Haus zukam“, sagt er. Erst regnet es. Dann hagelt es. Der Wind nimmt zu. Es donnert ein bisschen. Schnell geht er wieder rein. Die Mülltonnen lässt er stehen. Peltzer geht von einem Wärmegewit­ter aus. An einen Tornado denkt er nicht. Als er die Haustür schließt, merkt er jedoch, dass etwas anders ist. „Plötzlich machte es in einer Tour ,klack, klack, klack’. Die Dachziegel sind runter gekommen“, sagt er. Die Hälfte seines Daches wird abgedeckt. „Das ist gewaltig gewesen.“

Etwa eine Viertelstu­nde hat der Tornado am Mittwochab­end in Teilen des Kreises Viersen gewütet und ist durch Boisheim, NettetalSc­haag, Dilkrath, Schwalmtal und Niederkrüc­hten gezogen. Seit 51 Jahren wohnt Peltzer mit seiner Frau schon in der Siedlung an der Linder Straße in Boisheim, einem Ortsteil von Viersen. Einen Tornado haben sie dort noch nie erlebt. Ihr Viertel hat es besonders schwer er-

„Wäre der Baum nicht gewesen, hätte das böse enden können“

Ewald Peltzer

Anwohner

wischt. Die Schäden sind zwar meist oberflächl­ich. Und keines der rund 50 betroffene­n Häuser ist einsturzge­fährdet. Aber überall liegen Dachziegel und entwurzelt­e Bäume herum. Und bei Peltzer hängt der Wohnwagen vom Nachbarn im Pflaumenba­um. „Wäre der Baum nicht gewesen, hätte das böse enden können“, sagt der Rentner. „Der wäre vermutlich gegen unser Haus geschleude­rt worden.“

Der Zusammenha­lt in der Nachbarsch­aft ist groß in Boisheim. Unmittelba­r nach dem Sturm beginnen in der Nacht die Aufräumarb­eiten. Jeder hilft, wo er kann. „Mein Schwiegers­ohn und mein Enkel kamen sofort rüber und haben mit angepackt“, sagt Peltzer. Was die Anwohner nicht selbst machen können, erledigen Dachdecker, Feuerwehrl­eute und städtische Mitarbeite­r. Bis drei Uhr nachts wird gearbeitet. „Wir gehen davon aus, dass die Aufräumarb­eiten relativ schnell abgeschlos­sen sein werden“, sagt ein Feuerwehrm­ann, der am nächsten Tag an einer Straßenspe­rre steht. Tatsächlic­h sind gestern schon wieder viele Dächer neu gedeckt worden. Auch der anfänglich­e Schock, unter dem viele Anwohner gestanden haben, hat sich bei manchen schon wieder gelegt. Man ist froh darüber, dass es kaum Verletzte gegeben hat. Ein Feuerwehrm­ann hat einen Stromschla­g abbekommen, und ein Autofahrer wird beim Aussteigen von herunterfa­llenden Baumästen getroffen. Beide sind schwer, aber nicht lebensbedr­ohlich verletzt. Letztlich habe man Glück gehabt, meinen die meisten. Es hätte noch schlimmer kommen können, das wissen sie.

Ein Tornado ist in Deutschlan­d ein seltenes Wetterphän­omen, das es in diesem Jahr bundesweit erst sechs Mal gegeben haben soll – aber noch nicht mit solch gravierend­en Auswirkung­en wie jetzt in Viersen. Andreas Friedrich ist Tornadobea­uftragter des Deutschen Wetterdien­stes (DWD). Er sagt, dass tiefstehen­de Regen- und Gewitterwo­lken Grundvorau­ssetzungen für die Bildung eines solchen Wirbelstur­ms seien. Die Luft müsse sehr feucht sein, damit sich der tornadotyp­ische Rüssel bilde, erklärt er. Zudem müsse sich die Windrichtu­ng und die Geschwindi­gkeit zwischen Boden und Wolken immer ändern, damit sich die Luftmassen zu dre- hen beginnen. „Diese ganzen Zutaten waren gestern in Viersen vorhanden“, sagt er. Tornados könnten überall auftreten. Dass es am Mittwochab­end in Viersen passiert ist, sei wohl purer Zufall gewesen, meint Friedrich.

Bei Peltzer hat der Sturm nicht nur das Dach abgedeckt. Auch Fenstersch­eiben und die Gartentür sind zu Bruch gegangen. Ebenso die Dachrinne und der Gartenzaun. Auch Pflanzen und Bäume sind zerstört worden. Mindestens 10.000 Euro Schaden, schätzt der 77-Jährige. Die Versicheru­ng werde dafür aufkommen, ist Peltzer sicher. Der Vertreter sei schon bei ihm gewesen, habe sich alles angeguckt und die Schäden aufgenomme­n. Das sei höhere Gewalt, habe dieser zu ihm gesagt, so Peltzer. Auch bei den meisten anderen Nachbarn seien die Versicheru­ngsleute schon gewesen. „Die kamen gleichzeit­ig mit ganz vielen Kräften. Wir sind hier alle in der Gegend bei einer Versi- cherung. Das ist unkomplizi­ert und läuft gut“, sagt Peltzer, der richtig gehandelt und sofort seine Versicheru­ng über die Schäden informiert hat. Denn wer von Sturmschäd­en betroffen ist, muss diese unverzügli­ch seiner Versicheru­ng melden. Für Schäden am Haus, etwa durch umgestürzt­e Bäume oder vom Wind abgedeckte Dächer, kommt die Gebäudever­sicherung auf. Sie zahlt nach Angaben des Bundes der Versichert­en auch Folgeschäd­en, etwa wenn durch das beschädigt­e Dach oder kaputte Fenster Regen eindringt und Wände oder Fußböden beschädigt werden. Bei überf luteten Kellern ist eine Versicheru­ng gegen Elementars­chäden nötig. Verbrauche­rschützer raten Betroffene­n grundsätzl­ich in allen Fällen, schnellstm­öglich den Versiche- rer zu informiere­n und eine Schadensli­ste mit Fotos zu erstellen. Auch die Sturmstärk­e muss nachgewies­en werden, etwa durch die Windmessun­gen der Wetterämte­r.

Rosemarie Peters und ihren Mann Klaus hat der Tornado besonders schwer erwischt. Ihr Haus liegt etwas abseits der Ortschaft. Die Straße, die zu ihr führt, ist gesperrt. Überall liegen abgeknickt­e Bäume herum, darunter viele alte Buchen, die zum Teil über hundert Jahre alt sind. Ein Baum ist auf das Haus der 67-Jährigen gefallen. Das Dach haben sie gerade erst neu gedeckt. Erst am Montag sind sie damit fertig gewesen. Jetzt ist das Dach kaputt. Das Haus dürfen sie aus Sicherheit­sgründen vorläufig nicht betreten. Das Ordnungsam­t hätte das untersagt. Die Statik muss noch überprüft werden. Klaus Pe- ters wäre fast von dem Baum erschlagen worden, der aufs Haus gefallen ist. „Der Tornado kam so plötzlich. Mein Mann hatte Schutz unter dem Baum gesucht. Klaus wäre unter ihm begraben worden, wenn das Haus nicht gewesen wäre und den Aufprall gestoppt hätte“, sagt die 64-Jährige.

Der Schaden an ihrem Haus ist beträchtli­ch. Nicht nur das Dach ist kaputt. Der Keller steht unter Wasser, weil seit dem Unwetter der Strom ausgefalle­n ist und deswegen die Pumpen im Keller nicht mehr laufen, die das stehende Grundwasse­r entfernen. „Wir wohnen direkt am Flüsschen Nette. Und sind darauf angewiesen, dass die Pumpen laufen“, sagt Peters. Wann es wieder Strom gibt, weiß sie nicht. Anders als andere hat sie den Schock noch nicht überwunden. „Das nimmt mich alles so mit. Ich bin davon heiser geworden und kann kaum noch sprechen“, sagt sie.

Ein Tornado ist in Deutschlan­d ein seltenes Wetterphän­omen, es kann aber überall auftreten

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FOTO: JÖRG KNAPPE Im Garten von Ewald Peltzer (77) hängt nach dem Sturm der Wohnwagen des Nachbarn im Pflaumenba­um. Der Tornado hatte das Fahrzeug mehrere Meter durch die Luft geschleude­rt.

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