Rheinische Post Emmerich-Rees

EU setzt Merkel mit Diesel-Klage unter Druck

- VON ARNE LIEB UND BIRGIT MARSCHALL

Die Brüsseler Kommission will wirkungsvo­llere Maßnahmen gegen schlechte Luft in vielen deutschen Städten erzwingen.

BERLIN Die Bundesregi­erung hat mit Unverständ­nis auf die Entscheidu­ng der EU-Kommission reagiert, Deutschlan­d wegen der anhaltend schlechten Luft in vielen deutschen Städten vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) zu verklagen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) sagte, Deutschlan­d habe in „beispiello­ser Weise“Förderprog­ramme für bessere Luft in den Städten aufgelegt. Brüssel dagegen will nicht länger dulden, dass in 66 deutschen Städten die bereits seit 2010 geltenden EU-Grenzwerte für Stickoxide überschrit­ten werden. Welche Folgen hat die EU-Klage? Mit einer Entscheidu­ng des EuGH ist zwar frühestens in zwei Jahren zu rechnen. Erst wenn ein Urteil gegen Deutschlan­d fiele, drohen Deutschlan­d hohe Bußgelder, die es nach Brüssel überweisen müsste. Als Richtschnu­r gilt eine Strafe von 800.000 Euro für jeden weiteren Tag, an dem nach einem Urteil der Missstand nicht beseitigt ist. Die Klageeinre­ichung hat vor allem politische Bedeutung; Brüssel erhöht damit jetzt den Druck auf Berlin, die Grenzwertü­berschreit­ungen endlich schneller und wirkungsvo­ller zu bekämpfen. Zwar hat sich die Luft in den letzten Jahren schrittche­nweise verbessert, doch sind etwa 20 deutsche Kommunen noch sehr weit von den Vorgaben entfernt, allen voran München, Stuttgart und Köln. Was hat die Bundesregi­erung für bessere Luft getan? Aus dem 2017 aufgelegte­n „Sofortprog­ramm Sau- bere Luft“erhalten betroffene Kommunen Fördergeld­er vom Bund für die Umrüstung von Bussen im Personenna­hverkehr oder Taxis. Beim „Diesel-Gipfel“im August 2017 versprach die Autoindust­rie zudem Software-Updates für Dieselauto­s, die die Emissionen um 25 bis 30 Prozent drücken sollten. Warum wirken die Maßnahmen bisher so wenig? Die Software-Updates wurden bisher von den Hersteller­n nur für einen kleinen Prozentsat­z der betroffene­n Diesel vorgenomme­n. In den zehn Jahren seit Inkrafttre­ten der Grenzwerte ist die Zahl der Dieselauto­s sehr stark gestiegen. Diese Dieselauto­s stoßen aber wegen unzulängli­cher Tests und Manipulati­onen im normalen Verkehr weit mehr Schadstoff­e aus als angegeben. Brüssel kritisiert­e gestern auch den aus Kommission­ssicht zu laxen Umgang der deutschen Politik mit den Autoherste­llern. Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) wies das zurück. Warum zwingt die Regierung die Hersteller nicht zu Hardware-Nachrüstun­gen? Der Automobilc­lub ADAC und andere haben in Tests nachgewies­en, dass der nachträgli­che Einbau spezieller, neuartiger Katalysato­ren den Schadstoff­ausstoß entscheide­nd reduzieren könnte. Auch der Städtetag bekräftigt­e gestern seine Forderung nach Nachrüstun­gen. Doch die Nachrüstun­g mit Stickoxid-Katalysato­ren würde pro betroffene­m Fahrzeug zwischen 1500 und 3000 Euro kosten. Bei bis zu fünf Millionen Fahrzeugen käme man auf eine zweistelli­ge Milliarden­summe. Die wollen die Autoherste­ller auf keinen Fall schultern. Noch haben sie in Berlin genügend Einfluss, um zu verhindern, dass die Regierung die Daumenschr­auben anzieht. Der Unionsteil der Regierung ist jedenfalls strikt gegen eine Verpflicht­ung der Hersteller. Sie könnte auch aus rechtliche­n Gründen schwer umsetzbar sein. Drohen jetzt Fahrverbot­e für Diesel in vielen Städten? Ja, zunehmend. Wenn die Regierung die Nachrüstun­g nicht doch noch erzwingt, bleiben den Städten am Ende nur Diesel-Fahrverbot­e als letzte Lösung. Das Bundesverw­altungsger­icht hatte dafür im Februar grundsätzl­ich den Weg freigemach­t. Hamburg rüstet sich jetzt auf mehreren Straßenabs­chnitten für das bundesweit erste Fahrverbot für ältere Dieselfahr­zeuge, sobald die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung vorliegt, die täglich erwartet wird. Wann könnten Fahrverbot­e in Düsseldorf Realität werden? Die Corneliuss­traße in Düsseldorf reißt regelmäßig die Stickoxid-Grenzwerte, ein mögliches Fahrverbot träfe aber nicht nur diese, sondern womöglich auch andere Straßen. Doch vorerst wird es kein Fahrverbot geben, anders als in Hamburg ist kein einziges Verbotssch­ild in der Landeshaup­tstadt montiert. Die Verantwort­lichen spielen zudem auf Zeit. Die Bezirksreg­ierung wartet noch immer auf die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung des Bundesverw­altungsger­ichts, bevor sie weitere Maßnahmen beschließt. Die Landesregi­erung geht davon aus, dass sie Fahrverbot­e in NRW vermeiden kann.

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