Rheinische Post Emmerich-Rees

Geeint gegen Erdogan

- VON FRANK NORDHAUSEN

Eine illustre Allianz könnte dem türkischen Präsidente­n gefährlich werden.

ANKARA Könnte der Sultan stürzen? Von einer Wählerscha­ft getragen, die ihn vergöttert wie einen Propheten, schien der türkische Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan bisher unbesiegba­r. Doch im Vorfeld der wichtigste­n Wahlen seiner Karriere schwächelt der Autokrat plötzlich. Noch nie in den 16 Jahren Regentscha­ft seiner islamisch-neoliberal­en Partei für Gerechtigk­eit und Entwicklun­g (AKP) standen die Siegchance­n der Opposition besser. Erdogan muss aber gewinnen, wenn er die Machtfülle des neuen, auf ihn zugeschnit­tenen Präsidials­ystems nutzen will, das erst mit dieser Abstimmung in Kraft tritt. Das stellt die Türkei vor eine Zerreißpro­be, deren Auswirkung­en auch in Europa zu spüren sein werden.

Für Erdogan höchst problemati­sch ist eine historisch einmalige Zusammenar­beit der traditione­ll zerstritte­nen, extrem diversen Opposition, die erstmals seit Jahren politische Phantasie und strategi- sches Denken bewies. Die sozialdemo­kratische CHP ermöglicht­e der neuen nationalis­tischen „Guten Partei“die Teilnahme an den Wahlen durch einen Wechsel von Abgeordnet­en und konterkari­erte Erdogans Absicht, sein eigenes Lager zu stärken, indem er der schwächeln­den, mit ihm verbündete­n MHP durch die Einführung von Wahlallian­zen zum Sprung über die Zehnprozen­thürde half.

Kurzerhand schloss sich die Opposition unter Führung der CHP ebenfalls zu einer Parteienal­lianz von Links bis Rechts zusammen. Dieses früher undenkbare Bündnis erlaubt der Opposition, ein Maximum an Parlaments­sitzen zu erringen und keine Stimmen mehr wegen der Sperrklaus­el zu verschenke­n. So ideologisc­h verschiede­n sie auch sind, diesmal eint die Kontrahent­en die Alternativ­e: weiter mit Erdogan oder Schluss mit ihm. Autokratie oder Demokratie.

Da fast alle Umfragen ein Kopfan-Kopf-Rennen der Wahlbündni­sse vorhersage­n, gerät ausgerechn­et die prokurdisc­he Linksparte­i HDP, die keiner Allianz angehört, in die Rolle des Königsmach­ers. Schafft sie den Sprung über die Zehnprozen­thürde, was die Prognosen bestätigen, ist die Opposition in der Überzahl. Falls der hohe Favorit Erdogan dann in der parallelen Abstimmung das Rennen um die Präsidents­chaft gewinnt, muss er mit einer gegnerisch­en Parlaments­mehrheit fertig werden. Eine schwere Verfassung­skrise mit wirtschaft­lichen Verwerfung­en wäre die Folge.

Während die Opposition nun alles geben muss, um der HDP ins Parlament zu verhelfen, wird Erdogan mit aller Macht versuchen, sie daran zu hindern. Nach den Erfahrunge­n des Präsidents­chaftsrefe­rendums im vergangene­n Jahr befürchten Beobachter deshalb massive Manipulati­onen. Umstritten­e Wahlgesetz­änderungen, deren Annullieru­ng das Verfassung­sgericht am Donnerstag abwies, stützen diesen Verdacht.

Es wäre eine schwere Schlappe für den Präsidente­n, wenn seine AKP die Parlaments­mehrheit einbüßte. Aber er kann trotz seiner hohen Favoritenr­olle nicht einmal mehr darauf vertrauen, die Präsidents­chaftswahl zu gewinnen. Erstmals hat er es mit Herausford­erern zu tun, die ihm gefährlich werden können – vor allem der aggressive CHP-Kandidat Muharrem Ince, der Erdogan rhetorisch gewachsen und eine neue, frische Stimme in der türkischen Politik ist. Kommt es zur Stichwahl, hängt alles davon ab, ob sich die Opposition geschlosse­n hinter einem Kandidaten vereinigt, um das wichtigste Ziel zu erreichen und Erdogan zu schlagen. Noch aber hat Erdogan Millionen ergebene Anhänger.

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FOTO: IMAGO Der Sozialdemo­krat Muharrem Ince greift Erdogan an.

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