Begegnung mit Bill Murray
Der Hollywood-Star trat mit Cellist Jan Vogler bei den Ruhrfestspielen auf.
RECKLINGHAUSEN Vermutlich werden an diesem schwül-warmen Frühlingsabend zahlreiche Menschen vor allem deshalb ins Ruhrfestspielhaus in Recklinghausen gepilgert sein, um Bill Murray einmal leibhaftig sein typisches Bill-Murray-Gesicht machen zu sehen. Dieses Gesicht hat Filmgeschichte geschrieben. Es drückt aus, was viele fühlen: Was mache ich eigentlich hier? Was willst du von mir, Leben?
Dass Bill Murray gerade mit dem deutschen Cellisten Jan Vogler um die Welt reist, ist eine überraschende Fügung. Ein Hollywood-Star, der von selbst die Nähe zu Musik und Literatur sucht, das passt perfekt ins Programm der Ruhrfestspiele. Die beiden haben sich auf einem langen transatlantischen Flug kennen gelernt. Der Schauspieler wunderte sich, warum das Stradivari-Cello einen eigenen Flugzeug-Sitz bekam. So kam man ins Plaudern über die schönen Künste, so entstanden das Album und die Tour „New Worlds“mit einem simplen, aber wirkungsvollen Konzept: Amerikanische Literatur küsst europäische Klassik – und Bill Murray singt.
Der 67-jährige Schauspieler hat schon einmal gesungen: In einer Karaoke-Bar in Sofia Coppolas filmischem Meisterwerk „Lost in Translation“, das 2003 einen regelrechten Bill-Murray-Hype ausgelöst hat. Wenn er dort „More Than This“von Roxy Music anstimmt, dann liegt in seiner brüchigen Stimme fast so viel Melancholie und Verlorenheit wie in seinem Blick. Aber auch eine Selbstvergessenheit und vergessen geglaubte Freude über das unverstandene Dasein – denn er hat ja seine Seelenpartnerin gefunden: Scarlett Johansson.
Auf der Ruhrfestspielbühne ist all das auch da: Die Verlorenheit und Melancholie, wenn er mit gleißendem Licht von hinten auf die Bühne tritt und ein Gesicht macht, als ob er sich frage: „Wer wird mich hier verstehen – in Recklinghausen?“Und die Freude über die schöne Kunst, über seinen Seelenfreund Jan Vogler, über zwei äußerst talentierte und reizende Musikerinnen im Bühnenzentrum: Vanessa Perez am Klavier, Mira Wang an der Violine. Die vier mischen James Fenimore Cooper mit Schubert, Ernest Hemingway mit Bach, Ravel und Piazzolla. Murray blüht immer mehr auf in seiner Vortragskunst, bei einem Auszug aus Mark Twains „Huckleberry Finn“trägt er so üppige Stimm- und Dialekt-Farben auf, dass es eine Wonne ist.
Mit jeder Minute entwickelt sich der Abend zu einer echten Begegnung, zu einem Fest. Zum Glück des Publikums fängt Murray irgendwann an zu spielen und gibt die Rolle, die er am besten kann: den traurigen Clown. Er wagt einen vorsichtigen Tango in zwei Akten mit Mira Wang, die ihn aus der Lethargie zu reißen scheint. Er gibt mit Gershwins „It Ain’t Necessarily So“, Bernsteins „Somewhere“und Tom Waits’ „The Piano Has Been Drinking“erst den komischen, dann den sehnsuchtsvollen, dann den angetrunkenen Entertainer. Und wenn er am Ende völlig entfesselt Rosen in die entlegensten Ecken des Zuschauerraums schleudert, dann könnte man meinen, er schaue sich schon nach einem Alterssitz im Ruhrgebiet um.