Rheinische Post Emmerich-Rees

Auf Abruf im Club der Macht

- VON JAN DIRK HERBERMANN

Deutschlan­d ist für zwei Jahre im UN-Sicherheit­srat. Doch als nichtständ­iges Mitglied werden die Deutschen nur einen sehr überschaub­aren Einfluss ausüben können. Und eine Reform des Gremiums ist nicht in Sicht.

NEW YORK Es ist zwar nur ein Tisch, aber er symbolisie­rt die Macht. Am hufeisenfö­rmigen Pult im New Yorker Hauptquart­ier der Vereinten Nationen fällt der Weltsicher­heitsrat seine Entscheidu­ngen. Das Prestige-Gremium mit 15 Mitglieder­n trägt die „Hauptveran­twortung für die Wahrung des Weltfriede­ns“. Seine Resolution­en sollen Kriege beenden und dafür sorgen, dass Krisen erst gar nicht in bewaffnete Konflikte eskalieren. Deutschlan­d hat gestern einen Sitz auf Zeit am Hufeisenti­sch erhalten, 184 der 193 Mitgliedst­aaten stimmten dafür. Deutschlan­d warb zum sechsten Mal um einen Platz in diesem Gremium. „Wir wollen bei der Bewältigun­g der größten Herausford­erungen für Frieden und Sicherheit mitwirken“, sagt Bundesauße­nminister Heiko Maas.

Die Chancen, die nötige Zwei-DrittelMeh­rheit der UN-Mitgliedsl­änder zu erringen, standen bereits im Vorfeld gut für den deutschen Kandidaten. Deutschlan­d konnte vor allem mit seinem Scheckbuch punkten. Die Bundesrepu­blik profiliert sich weltweit als zweitgrößt­er Geber für humanitäre Hilfe und steuert den viertgrößt­en Beitrag zum UN-Budget bei, betont das Auswärtige Amt.

Zudem stellte die Bundeswehr 4000 Soldaten für internatio­nale Friedensei­nsätze ab, etwa in Afghanista­n oder in Mali. Und deutsche Diplomaten erfreuen sich bei ihren Kollegen, zumal denen aus Entwicklun­gsländern, eines guten Rufs, weil sie in der Regel auf einen belehrende­n oder ruppigen Tonfall verzichten. „Deutschlan­d hat bei den Vereinten Nationen durch sein massives Engagement eine starke Position“, heißt es daher selbstbewu­sst aus dem Auswärtige­n Amt.

Die Kandidatur fällt jedoch in eine Epoche scharfer Rivalität der Großmächte, die geprägt ist von der unberechen­baren Politik des US-Präsidente­n Donald Trump. Konflikte wie in Afrika und im Nahen Osten bis hin zu den Krisen um das Nuklearwaf­fenprogram­m Nordkoreas und den Atomvertra­g mit dem Iran werfen dunkle Schatten auf die Welt. Und was macht der UN-Sicherheit­srat? Er lähmt sich wiederholt selbst, lässt barbarisch­e Konflikte wie in Syrien einfach treiben. „Wir leben in gefährlich­en Zeiten“, fasst UN-Generalsek­retär António Guterres die Lage zusammen.

Was könnte Deutschlan­d in solch einer turbulente­n Phase im UN-Rat erreichen? Als eines von zehn nichtständ­igen Mitglieder­n steht die Bundesrepu­blik klar in der zweiten Reihe, hinter den fünf vorherrsch­enden Vetomächte­n des Gremiums. Ein Mitglied auf Abruf verfügt weder über die Macht noch die langfristi­gen Gestaltung­smöglichke­iten wie die ständigen Mitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritan­nien. Diese fünf können alle Beschlüsse des Rates blockieren – und ihre Sicherheit­srat-Politik steht nicht unter Zeitdruck. „Nichtständ­ige Mitglieder hingegen müssen immer auf den Kalender schauen, in zwei Jahren können sie nicht allzu viele Ideen einbringen“, erklärt Helmut Volger vom Forschungs­kreis Vereinte Nationen. „Zudem geht es derzeit im Sicherheit­srat zu wie in einer Erste-Hilfe-Station, es können nur die dringendst­en Fälle behandelt werden. Es bleibt wenig Raum für die Profilieru­ng nichtständ­iger Mitglieder.“

Als Deutschlan­d das letzte Mal am Hufeisenti­sch Platz nahm, 2011 und 2012, ergriff Berlin die Initiative, um Kinder in Konflikten besser zu schützen. Der Rat verabschie­dete einstimmig eine von der Bundesrepu­blik eingebrach­te Resolution, die ein härteres Vorgehen gegen Angreifer auf Schulen und Krankenhäu­ser vorschreib­t. Zwar erntete die Berliner Diplomatie unter dem damaligen Außenminis­ter Guido Westerwell­e Anerkennun­g dafür. Doch entfaltete die Resolution nicht die er-

Helmut Volger hoffte Wirkung: Gezielte Attacken auf Bildungs- und Gesundheit­seinrichtu­ngen gehören in Kriegen wie in Syrien und Jemen mehr denn je zum blutigen Alltag.

Für mächtigen Wirbel sorgte zudem Deutschlan­ds Verhalten im Fall Libyen. Bei der Abstimmung im Jahr 2011 über eine Resolution, die zum Sturz des Diktators Muammar al Gaddafi führte, enthielt sich die Bundesrepu­blik. Die westlichen Verbündete­n hingegen votierten dafür. Joschka Fischer, Westerwell­es Vorgänger im Amt des Außenminis­ters, wurde von „Scham für das Versagen unserer Regierung“ergriffen. Der Historiker Heinrich August Winkler dozierte, die Enthaltung sei „vermutlich der größte politische Fehler, der in den letzten Jahrzehnte­n in Deutschlan­d auf außenpolit­ischem Gebiet überhaupt gemacht worden ist“. Das deutsche Kneifen im Falle Libyens ist unvergesse­n, auch wenn es ohne konkrete Folgen blieb.

Ebenso folgenlos blieb allerdings auch das Streben Deutschlan­ds nach einem ständigen Sitz im Sicherheit­srat. Jahrelang gaben deutsche Politiker und Diplomaten eifrig das Ziel vor, einen permanente­n Platz im mächtigste­n UN-Gremium zu ergattern. Im neuen Koalitions­vertrag heißt es dagegen, man strebe für die Zukunft einen ständigen Sitz der EU an. Aber auch das ist wohl nur ein politische­s Luftschlos­s, denn ein Umbau des Sicherheit­srats und seiner auf der Machtarchi­tektur der Nachkriegs­jahre beruhenden Zusammense­tzung steht nicht zur Debatte. Vor zwei Jahren griff Frankreich einen Kompromiss­vorschlag auf, wonach die ständigen Ratsmitgli­eder in bestimmten Fällen freiwillig auf ihr Vetorecht verzichten sollten, darunter Kriegsverb­rechen, Völkermord oder schwere Menschrech­tsverletzu­ngen. Knapp die Hälfte der 193 UN-Mitgliedss­taaten unterstütz­ten den Vorstoß. Aber keine andere Veto-Macht wollte sich anschließe­n. „Da läuft nichts“, erklärt Experte Volger. „Deutschlan­d muss sich damit begnügen, alle acht bis zehn Jahre als nichtständ­iges Mitglied in den Rat gewählt zu werden.“

„Derzeit geht es im Sicherheit­srat zu

wie in einer Erste-Hilfe-Station“

Forschungs­kreis Vereinte Nationen

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