Rheinische Post Emmerich-Rees

Warum werden so wenige abgeschobe­n?

- VON FRANZISKA HEIN UND GREGOR MAYNTZ

Der Mord von Wiesbaden und die Fragen nach den Umständen der Flucht des Tatverdäch­tigen und den Bedingunge­n des Asylsystem­s.

BERLIN Nach den Morden von Freiburg, Kandel und Wiesbaden, bei denen Flüchtling­e mutmaßlich die Täter waren, rücken Fragen nach verpassten Abschiebun­gen und nach dem Umgang mit Kriminelle­n in den Mittelpunk­t. Warum konnte der mutmaßlich­e Mörder von Susanna, Ali B., mit seiner Familie unbehellig­t ausreisen? Die Familie legte der Bundespoli­zei am Flughafen Düsseldorf zwei irakische Laissez-passer-Papiere mit je vier Namen und acht Aufenthalt­sgestattun­gen vor. Die Polizisten werteten diese als echt und gültig. Die Lichtbilde­r passten zu den Personen. Einen Vergleich mit den anderslaut­enden Namen auf den bar bezahlten Flugticket­s stellten die Beamten nicht an, da dies „derzeit rechtlich nicht möglich“sei, erklärte die Bundespoli­zei. Der Flug startete am 2. Juni um 19.10 Uhr; zur Fahndung wurde B. erst am 4. Juni um 3.30 Uhr ausgeschri­eben. Was ist ein Laissez-passer? Diese Passiersch­eine sind die bei deutschen Behörden für Abschiebun­gen begehrten Passersatz­dokumente, die zeitlich begrenzt eine einmalige Ausreise ermögliche­n, auch wenn der Ausreisepf­lichtige über keine gültigen Papiere verfügt. Das Heimatland erklärt sich damit bereit, die Personen wieder einreisen zu lassen. Die irakische Familie machte sich damit in Düsseldorf den Umstand zunutze, dass Behörden es natürlich begrüßen, wenn abgelehnte Asylbewerb­er auf eigene Kosten und freiwillig das Land verlassen wollen. Warum befand sich Ali B. trotz eines Ablehnungs­bescheids noch längere Zeit in Deutschlan­d? Der heute 20-Jährige war auf dem Höhepunkt der Flüchtling­skrise über die Balkanrout­e am 16. Oktober 2015 nach Deutschlan­d gekommen, hatte wegen der Überlastun­g der Behörden aber erst am 27. September 2016 formal seinen Asylan- trag stellen können. Bereits am 30. Dezember erhielt er einen Ablehnungs­bescheid. Jedoch beauftragt­e er einen Anwalt, im Januar 2017 umgehend Klage dagegen einzulegen. Dieses Verfahren lief noch. Für dessen Dauer bekam er eine Aufenthalt­sgestattun­g. Wie kriminell war Ali B.? Aktenkundi­g ist eine angebliche Beteiligun­g an einer Schlägerei im April 2017, die ihm jedoch nicht nachgewies­en werden konnte. Es folgt die Anwesenhei­t bei einem weiteren Gewaltdeli­kt im Februar, das nicht aufgeklärt werden konnte. Im März soll er nachts eine Stadtpoliz­istin angerempel­t und um sich geschlagen, drei Tage später einen Mann mit einem Messer bedroht und ausgeraubt haben – beide Ermittlung­en laufen noch. Im April wurde er mit einem gefährlich­en Messer erwischt, im Mai gehörte er zum Kreis der Verdächtig­en einer Vergewalti­gung eines elfjährige­n Flüchtling­smädchens. Auch hier fehlte bislang der Nachweis. Wie häufig werden Flüchtling­e Straftäter? Die Kriminalst­atistik hält fest, dass im vergangene­n Jahr 5,7 Millionen Straftaten registrier­t und 2,1 Millionen Tatverdäch­tige ermittelt wurden. Darunter befanden sich 300.680 „Zuwanderer“. Im Vorjahr waren es noch 506.641. Der Rückgang wird damit erklärt, dass es auch weniger unerlaubte Einreisen gab. In der Rubrik „Mord, Totschlag und Totschlag auf Verlangen“weist die Statistik 1558 deutsche und 1140 nichtdeuts­che Tatverdäch­tige aus. Nur ein Teil davon sind Flüchtling­e. Soziologen verweisen darauf, dass Flüchtling­e im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerun­g überpropor­tional viele Straftaten begehen. Es gebe jedoch kaum Unterschie­de, wenn man nur die Gruppe deutscher junger Männer mit der junger männlicher Flüchtling­e vergleiche. Wie hat sich die Zahl der Abschiebun­gen entwickelt? Von 2014 zu 2015 gab es fast eine Verdoppelu­ng von 10.884 auf 20.888. Dann stieg die Zahl im Jahr 2016 jedoch nur auf 25.375 und ging im vergangene­n Jahr sogar auf 23.966 zurück. Behördenve­rtreter erklären das damit, dass zunächst die relativ unproblema­tischen Fälle vom Balkan in großer Zahl abgewickel­t werden konnten, dann jedoch die problemati­schen an der Reihe waren. Warum werden nicht Hunderttau­sende Flüchtling­e abgeschobe­n? Wenn im Schnitt jeder zweite Antrag erfolglos ist, müssten eigentlich allein von den 890.000 Flüchtling­en, die im Jahr 2015 nach Deutschlan­d gekommen sind, fast 450.000 wieder gehen. Viele tun dies auch auf eigene Faust oder mit Unterstütz­ung durch staatliche Startprogr­amme. In den ersten vier Monaten dieses Jahres bekamen 1312 Antragstel­ler Asyl, 14.720 weitere den Flüchtling­sstatus, 10.639 subsidiäre­n Schutz und 4973 eine AbschiebeS­perre.

Bleiben darf auch, wer eine Schule besucht oder eine Ausbildung absolviert. In zehn bis 40 Prozent der Fälle sind zudem Klagen erfolgreic­h. Und in der Praxis tauchen viele Abzuschieb­ende einfach unter, wenn der Abschiebe-Termin naht. Seit dem verheerend­en Bombenansc­hlag in Kabul nahe der deutschen Botschaft vor einem Jahr wurden nach Afghanista­n nur noch Straftäter abgeschobe­n. Diese Einschränk­ungen sind nun aufgehoben; die SPD-geführten Länder wollen jedoch daran festhalten. Was will die Politik verändern? Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) will Dienstag einen „Masterplan“vorstellen, um schnellere Verfahren und mehr Abschiebun­gen zu erzielen. Verständig­t haben sich Union und SPD auf „Ankerzentr­en“, in denen Ankunft, Registrier­ung und Entscheidu­ng konzentrie­rt werden. Nur noch Flüchtling­e mit positiver Bleibepers­pektive sollen dann aus diesen Zentren heraus auf Städte und Dörfer verteilt werden.

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