Rheinische Post Emmerich-Rees

Trauer um Susanna in Wiesbaden

- VON ALEXANDRA EISEN, PETRA JUNG UND MICHAEL BERMEITING­ER

Psychologe­n helfen Mitschüler­n und Lehrern an der Schule der ermordeten 14-Jährigen. Die Gemeinde ist fassungslo­s.

MAINZ Die Gemeinscha­ft der Integriert­en Gesamtschu­le Mainz-Bretzenhei­m trauert um Susanna. „Jeder Schüler konnte heute Morgen eine Kerze für sie aufstellen“, erzählt eine Mitschüler­in aus der achten Klassenstu­fe am Donnerstag­mittag. Die Schule steht unter Schock. Seit der Pressekonf­erenz von Polizei und Staatsanwa­ltschaft in Wiesbaden am Donnerstag­vormittag ist klar, dass es sich bei der am Dienstag in Erbenheim gefundenen Leiche um die 14-jährige Mitschüler­in handelt.

Auch vor dem Eingang des Wohnhauses auf dem Lerchenber­g, in dem Susannas Familie lebt, haben Nachbarn, Angehörige und Freunde Kerzen angezündet und Blumen hinterlass­en. Manche werfen Beileidsbe­kundungen in den Briefkaste­n, sprechen miteinande­r über das Unfassbare. Unter den Menschen, die gekommen sind, ist auch Ortsvorste­herin Sissi Westrich. „Die Familie kann sich jederzeit an mich wenden, wenn sie Hilfe benötigt“, sagt sie. Auch im Stadtteil spüre man, wie geschockt die Menschen seien, es gebe kaum ein anderes Gesprächst­hema.

„Alle reden darüber, doch allein Reden bringt nichts. Was wir jetzt noch tun können, ist, die Familie bei der Finanzieru­ng der Beerdigung zu unterstütz­en“, sagt Carolyn Genz. Ihre Familie, Betreiberi­n des „Hotels Am Lerchenber­g“, sammelt Spenden für die Beerdigung von Susanna. „Wir möchten ihr einen ge- rechten und würdevolle­n Abschied ermögliche­n“, heißt es dort. Carolyn Genz hat die 14-Jährige gekannt: „Susanna wohnte in der Nachbarsch­aft, kam auch manchmal als Kundin der Postfilial­e im Hotel zu uns. Man hat sich regelmäßig alle zwei bis drei Wochen gesehen.“

Noch am Tag, an dem später die Leiche des Mädchens gefunden wurde, habe sie der Mutter Mut zugesproch­en. Dann habe die Mutter gesagt, sie müsse nach Hause, weil die Polizei sich angekündig­t habe. Carolyn Genz: „Später habe ich dann über die Nachrichte­n mitbekomme­n, was passiert ist.“Carolyn Genz hat auch Oberbürger­meister Michael Ebling in der Angelegenh­eit angeschrie­ben und eine ihrer Freundinne­n hat über Youtube zu Spenden aufgerufen.

Auch die Jüdische Gemeinde Mainz reagiert mit Trauer und Entsetzen auf den Tod von Susanna, die Mitglied der Gemeinde war. „Ich bin über den gewaltsame­n Tod von Susanna so bestürzt, traurig und fassungslo­s, wie man nur sein kann“, sagt der Mainzer Gemeindera­bbiner, Aharon Ran Vernikovsk­y, im Interview mit der „Jüdischen Allgemeine­n“. Die gesamte Jüdische Gemeinde Mainz trauere um ihr junges Gemeindemi­tglied. „Wir werden für Susannas Familie da sein und ihr, so gut es geht, helfen und sie unterstütz­en.“

Die Mitschüler, Freunde und Lehrer an Susannas Schule erhalten profession­elle Hilfe. Am Donnerstag waren drei Schulpsych­ologen sowie zwei Notfallsee­lsorger vor Ort. „Die Schulpsych­ologen beraten zu- nächst die Schulleitu­ng und klären, welche Hilfestell­ung sie geben können“, sagt Oliver Appel, Leiter der Abteilung Schulpsych­ologie im Pädagogisc­hen Landesinst­itut Rheinland-Pfalz. „Wir empfehlen bei krisenhaft­en Situatione­n dieser Tragweite immer, einen Raum zu schaffen, damit Mitschüler, Lehrer und andere Schulbedie­nstete Abschied nehmen können“, so Appel. In der Regel seien auch die Religionsl­ehrer einer Schule eingebunde­n. „Nach meiner Kenntnis geht die Schule in Mainz sehr profession­ell mit der Situation um, hat auch ein schulinter­nes, fortgebild­etes Krisenteam“, sagt Appel. Die Schulleitu­ng äußert sich aktuell nicht zur Situation. Nicht ungewöhnli­ch. „Unsere Schulpsych­ologen thematisie­ren auch den Umgang mit Medienanfr­agen“, erklärt Oliver Appel. Der Schulpsych­ologe hat noch sehr gut den Fall des Amoklaufs im rheinland-pfälzische­n Winnenden 2009 vor Augen. Er war vor Ort, hat erlebt, mit welchen Mitteln manche Medien versucht haben, an Infos zu kommen. „Und ich habe erlebt, wie schlimm es für Schüler und Lehrer war, die mit Medien gesprochen und am Ende ihre eigenen Worte nicht mehr erkannt haben.“

Oliver Appel hat erst jüngst in Kandel erlebt, was auf eine Schule zukommt, wenn eine Schülerin grausam aus deren Mitte gerissen wird. Wie immens das Medieninte­resse sein kann. Als in der pfälzische­n Kleinstadt im Dezember 2017 die 15-jährige Mia von ihrem ExFreund getötet wurde, war ein Team seiner Abteilung vor Ort. Dass der Täter von Kandel ein Flüchtling aus Afghanista­n war und die Stadt seitdem regelmäßig aufgrund rechtspopu­listischer Demos und entspreche­nder Gegenprote­ste in den Schlagzeil­en ist, hat die ohnehin schwierige Situation verschärft. Denn die gesellscha­ftliche Debatte über Flüchtling­e macht vor den Schultoren und in der Elternscha­ft nicht Halt.

Wie lange Psychologe­n eine Schule begleiten, hängt von der Krisensitu­ation ab. „Da haben wir eine große Bandbreite. Vom Unfall während einer Klassenfah­rt oder auf dem Schulweg über Suizid, Mobbing bis zu diffusen Androhunge­n von Gewalt“, sagt Oliver Appel. Manchmal ist das Team nur ein paar Tage vor Ort, manchmal mehrere Monate. Gut 250-mal waren die rheinlandp­fälzischen Schulpsych­ologen im vergangene­n Jahr im Einsatz. „Wir haben in den vergangene­n drei Jahren steigende Zahlen. Aber nicht, weil es mehr Vorfälle gibt, sondern weil wir öfter rechtzeiti­g angefragt werden“, sagt Appel.

Wie lange die Schulpsych­ologen an der Integriert­en Gesamtschu­le unterstütz­en werden, lässt sich nicht absehen. Die Trauerarbe­it hat erst begonnen. Dieser Text ist zuerst in der in Mainz ansässigen „Allgemeine­n Zeitung“erschienen, mit der wir eine Kooperatio­n pflegen.

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FOTO: DPA Persönlich­e Trauerbeku­ndungen in der Nähe des Leichenfun­dortes.

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