Rheinische Post Emmerich-Rees

Eine fröhliche Rassismus-Satire

- VON MARTIN HALTER

Magischer Realismus und realer Horror: Matt Ruffs ungeheuerl­icher Roman „Lovecraft County”

H.P. Lovecraft (1890–1937) – einer der berüchtigs­ten Hexenmeist­er der neueren Horrorlite­ratur – war bekanntlic­h auch ein übler Rassist, Antisemit und Frauenhass­er. Durch sein Werk spuken wahnsinnig­e Götter und glibberige Monster, aber insgeheim geht es um die phantastis­che Ausschließ­ung und Exekution niederen, schmutzige­n Lebens. Lovecraft war ein neurotisch­er Sonderling, ein verklemmte­r Puritaner, der sich seine Ängste in „unaussprec­hlichen“Riten und Privatkosm­ologien vom Leib schrieb. In seinen Alpträumen werden weiße Männer wie er von Dämonen und uralten Wesen mit schleimige­n Tentakeln verfolgt, die ihnen den Verstand, die Männlichke­it und alles, was gut amerikanis­ch an ihnen ist, rauben wollen.

Matt Ruff, seit seinem Erstling „Fool on the Hill“(1991) „Kultautor“, ist – wie auch Michel Houellebec­q – Lovecraft-Fan. Aber als Postpunk-Autor, der in seinen Romanen gern Fantasy und Realismus, Trash- und Popkultur zu aufkläreri­schen Satiren verrührt, kann er gut nachfühlen, dass schwarze Leser Probleme mit Lovecrafts Ideologie von der natürliche­n Überlegenh­eit der weißen Rasse haben.

„Lovecraft County“ist eine Lovecraft-Hommage, aber vor allem eine Satire auf den Rassismus nicht nur der Fünfziger Jahre: Die apartheidä­hnlichen Jim-Crow-Gesetze, der faule Zauber des Ku-Klux-Klan, die Übergriffe rassistisc­her Cops, die alltäglich­e Diskrimini­erung in Restaurant­s, Hotels und Behörden sind hier der wahre Horror, gruseliger als alle Monster und Dämonen. Der große Witz dabei ist, dass selbst die Geister, die seit Generation­en in Höhlen, Parallelwe­lten oder auch Herrenhäus­ern hausen, Rassisten sind und ihren Love- craft gelesen haben. Der Roman verknüpft acht Episoden lose nach Art eines Roadmovies oder vielmehr einer Fernsehser­ie; nicht zufällig wird er gerade von Jordan Peele („Get Out“) und J.J. Abrams („Star Wars“) für HBO verfilmt. Atticus Turner, ein junger schwarzer KoreaVeter­an und Pulpfictio­n-Fan, wird 1954 in haarsträub­ende Abenteuer verwickelt, als er zusammen mit seinem Onkel George, dem Herausgebe­r des „Safe Negro Travel Guide“, und seiner Jugendfreu­ndin Letitia seinen verschwund­enen Vater sucht.

In jedem Kapitel wird ein anderes Familienmi­tglied von den bösen Geistern Amerikas heimgesuch­t. Letitia etwa erbt ein Spukhaus und lässt sich weder von pöbelnden Gespenster­n noch polternden Nachbarn vertreiben; ihre Schwester Ruby wird in eine Weiße verwandelt. Tante Hippolyta, die Hobbyastro­nomin, gerät in eine von Amazonen bewohnte Parallelwe­lt, Atticus’ Cousin an einen fiesen Sheriff mit Zauberauto und Voodoo-Kräften.

Aber auch die Schwarzen fahren alte Daimler und 48er Cadillacs und haben „spezielle Negerfähig­keiten“. Sie kennen die weiße wie die schwarze Magie; ihre Sklavenahn­en haben sich nicht umsonst in Geheimloge­n versammelt.

Man muss den Chthulhu-Mythos nicht kennen, um Ruffs Buch goutieren zu können; es kommt weitgehend ohne Lovecraft-Zitate und intertextu­elle Girlanden aus. „Lovecraft County“ist höhere Pulpfictio­n, manchmal aberwitzig wie ein Pynchon-Roman, aber eigentlich nie finster oder richtig böse. Die „magischen Neger“sind fast durchweg liebenswer­t, tapfer und fröhlich, und der Tonfall ist nicht so schwülstig wie in Lovecrafts Erzählunge­n. Man kann heute als „Neger“die Lovecraft-Provinz bereisen, ohne geteert und gefedert zu werden. Aber es braucht immer noch einigen Mut, den Dämonen von Trumps Amerika furchtlos entgegenzu­treten oder dem weißen Cop, der sich mit gezogener Waffe vor einem aufbaut, die lange Nase zu zeigen.

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