Wohin rollst du, Äpfelchen . . .
So. Hoffentlich bleiben wir jetzt allein“, sagte er. „Lang’ genug hab’ ich warten müssen.“Der Professor
blickte auf.
„Langweilen Sie sich, Vittorin?“fragte er. „Warum, ich find’ es ganz nett hier. Nur der Ingenieur geht mir auf die Nerven. Ödet mich der Mensch mit seiner Düngermaschine an. Ich habe das denkbar geringste Interesse für abnehmbare Drillkästen. Ich bin doch nicht hergekommen –“
„Interessiert es Sie nicht, warum ich hergekommen bin?“unterbrach ihn Vittorin in gereiztem Ton. „Oder glauben Sie wirklich, dass ich nichts Besseres zu tun habe, als mich einen ganzen Abend lang mit gleichgültigen Menschen –“
Er suchte nach einem Wort, das seine ganze Verachtung dieser Art von Geselligkeit ausdrücken sollte, und fand keines. – „Sie sind ein bisschen anspruchsvoll, Vittorin“, meinte der Professor. „Was für Genüsse haben Sie denn eigentlich erwartet? Indische Fakirkünste oder eine Koloraturarie? Vielleicht eine Bauchtänzerin gefällig? Ich hab’ mich glänzend unterhalten. Feuerstein, Ihr Gesicht, wie Sie der Genosse aus Hernals in der Arbeit gehabt hat – zum Totlachen.“
„Ich hab’ die Sache nicht so komisch gefunden“, sagte Feuerstein gekränkt. „Eine Unverschämtheit. Was ist dem Menschen eigentlich eingefallen? Frechheit, das. Wie kommt dieser Pülcher aus MariaEinbruch dazu, mich zu duzen?“
„Ihr glattes, rosiges Genießergesicht hat zweifellos etwas Herausforderndes für den Mann aus dem Volk“, stellte der Professor fest. „Böse Zeiten für beleibte Leute, lieber Feuerstein.“
„Wenn die Herren ihre Unterhaltung noch nicht beendet haben sollten –“, sagte Vittorin mit mühsam unterdrückter Wut, „bitte sehr, bitte, lassen Sie sich nur nicht stören. Ich habe Ihnen nämlich eine Mitteilung zu machen, deswegen bin ich hergekommen. Aber, wie gesagt, ich kann ja warten.“
Der Professor sah ihm verwundert ins Gesicht.
„Sie werden ja geradezu bitter, Vittorin. Was ist denn los?“
„Was los ist?“sagte Vittorin mit gespielter Gleichgültigkeit. „Nichts, als dass ich Nachricht aus Rußland habe. Seljukow ist in Moskau.“
Er zündete sich eine Zigarette an, um seine Erregung zu verbergen. Dann wartete er auf die Wirkung des Wortes, das er wie eine Handgranate hingeschleudert hatte.
„Wirklich? Interessant“, sagte der Professor. „Also Seljukow ist in Moskau. Sehr interessant. Sagen Sie mal, Vittorin, alter Freund – geht Ihnen der Stabskapitän noch immer nicht aus dem Kopf?“
Vittorin rauchte in kurzen, heftigen Zügen. – „Was heißt das? Wollen Sie damit sagen, Professor? Ich verstehe Sie nicht.“
„Sie verstehen mich nicht. Schön. Denken Sie einmal zurück. Tschernawjensk, das Lager, Nostalgie, seelische Depressionen, das öde Einerlei des Tages, Postsperre, keine Nachricht aus der Heimat, das Bewusstsein, jeder Laune des Kommandanten ausgeliefert zu sein. Wir waren alle aus dem Gleichgewicht gebracht, damals, als der arme Teufel, der Fliegerleutnant, an Malaria starb, elend war uns zumut, psychisch krank waren wir, Vittorin. Wir flüchteten uns in den typischen Traum aller Gefangenen: Einmal wiederkommen und Abrechnung halten! Gewiss, es war ein sehr wohltuender Gedanke, er hat uns über böse Stunden hinweggeholfen. Aber doch ein Krankheitssymptom, wie? Ist Ihnen denn das heute nicht klar?“
Vittorin hatte die Zigarette weggeworfen. Er war aufgesprungen und starrte den Professor wortlos an.
(Fortsetzung folgt)