Rheinische Post Emmerich-Rees

Zwischen Sandstrand und Backsteing­otik

- VON EKKEHART EICHLER

Nirgendwo lässt sich Strand– und Badeurlaub besser mit Kunst und Kultur kombiniere­n als an Mecklenbur­gs Ostseeküst­e. Zum Beispiel in Wismar und Umgebung.

„Durch dieses Tor kam das Grauen in die Stadt.“Ein Satz wie ein Hammerschl­ag, mit dem Astrid Peschke ihr Grüppchen effektvoll am Schlafittc­hen packt. Einen Moment noch lässt die Stadtführe­rin die Zuhörer zappeln, dann sprudelt sie los. Und spult die gruslige Story vom dämonische­n Grafen Orlok ab, einem Vampir aus den Karpaten, der mit Sarg unterm Arm und Ratten im Schlepptau durchs nächtliche Wisborg wandelt und der Stadt eine tödliche Krankheit bringt: die Pest.

1921 gedreht, ging diese Adaption von Bram Stokers Dracula als Horror-Klassiker „Nosferatu“in die Filmgeschi­chte ein. Zur Kulisse für das fiktive Wisborg erwählte Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau die Hansestadt Wismar, und noch heute lässt sich prima nachvollzi­ehen, warum. Überragt von gleich drei „Roten Hünen“, wie die gigantisch­en Backsteink­irchen der Hansezeit ehrfurchts­voll genannt werden, fasziniert die heutige Unesco-Welterbe-Altstadt wie einst zu Murnaus Zeiten – ein 76 Hektar großes Flächenden­kmal mit 1500 Häusern verschiede­ner Stile und Epochen, von denen 400 nochmals Einzelschu­tz genießen.

Verglichen damit ist der benachbart­e Klützer Winkel eher ein Geheimtipp auf der touristisc­hen Landkarte. Von hier ist es zwar nur noch ein Katzenspru­ng bis zum kilometerl­angen Sandstrand im staatlich anerkannte­n Seeheilbad Boltenhage­n, und dennoch wähnt sich der Besucher per Zeitsprung in jene ferne Epoche gebeamt, als Schlossbes­itzer und Gutsherren in Mecklenbur­g noch ganz große Nummern waren.

Für diesen Eindruck sorgen zuallerers­t der tiefe ländliche Frieden sowie das frisch restaurier­te Schloss Bothmer – die größte barocke Schlossanl­age in ganz Mecklenbur­g-Vorpommern. Mit prachtvoll­en Stuckdecke­n, reich geschmückt­en Kaminen und Intarsienk­abinett, mit zwölf Hektar Landschaft­sgarten, hauseigene­r Gracht und einer in Deutschlan­d einmaligen Allee aus gespaltene­n Lindenstäm­men.

Neben Schloss Bothmer besticht als zweiter kulturelle­r Leuchtturm der Gegend das Literaturh­aus „Uwe Johnson“. Johnson, der zu den wichtigste­n deutschen Schriftste­llern der Nachkriegs­literatur zählt, machte das Städtchen Klütz zur Vorlage des Ortes „Jerichow“in seinem Roman „Jahrestage“. Und Klütz hat es Johnson gedankt: Ein denkmalges­chützter Getreidesp­eicher wurde als Dichter- und Literaturh­aus zur Gedenkstät­te, zum Forum für Lesungen, Diskussion­en, Filme,

Annett Bierholz Ausstellun­gen und zur Kulisse für den „Klützer LiteraturS­ommer“.

„Morgens Welterbe-Backstein, am Nachmittag Weltklasse-Strand oder umgekehrt – dieses Prinzip funktionie­rt bei uns überall sehr gut und ist durchaus auch ein Alleinstel­lungsmerkm­al“, erklärt Annett Bierholz, Geschäftsf­ührerin des Verbandes Mecklenbur­gische Ostseebäde­r (VMO). Dieser zählt zu seinen Mitglieder­n – anders als der Name vermuten lässt – nicht nur die populären Badeadress­en zwischen Boltenhage­n und Graal-Müritz, sondern auch Perlen wie Wismar, die Münstersta­dt Bad Doberan und die Barlachsta­dt Güstrow.

Komplettie­rt wird das Angebot durch Binnenland-Regionen wie den Klützer Winkel sowie die Insel Poel in der Wismarer Bucht. „Ganz egal also, ob sie Ferien in Kühlungsbo­rn, Rerik oder Nienhagen machen – bei uns können sie den Strand- und Badeurlaub jederzeit und perfekt koppeln mit hochwertig­en Kultur- und auch Naturerleb­nissen im un- mittelbare­n Umland.“Zum Beispiel mit dem Fahrrad nach und über Poel – ein 37 Quadratkil­ometer grünes Eiland inmitten des Landschaft­sdreiecks Boltenhage­n, Wismar und Rerik, das, umgeben von breiten Schilfgürt­eln und Salzwiesen, in die Ostsee hineinragt und über einen Brückendam­m mit dem Festland verbunden ist. Für Drahteselr­eiter ein ideales Terrain, denn Steigungen gibt es so gut wie keine, und der höchste Punkt misst gerade mal stolze 26 Meter. Eine Idylle zudem mit reetgedeck­ten Katen, Schafen auf den Wiesen, Fischerboo­ten im Bodden – auf Poel geht es ganz und gar gemächlich zu, ganz anders als auf den großen Schwestern Rügen und Usedom.

Radeln wir also zunächst gemütlich und entspannt nach Kirchdorf, den Hauptort der Insel, dessen Kirchturm von weitem schon als Zielflagge winkt. Die Straßen auf Poel sind schmal, die meisten werden von schönen Alleen gesäumt. Kirchdorf selbst liegt am Ende eines fjordartig­en Meeresarms, dessen natürliche­r Schutz von Fischern und Sportbootk­apitänen außerorden­tlich geschätzt wird. Besonders beliebt ist Poel aber auch bei Familien – die vier Strände der Insel bringen es immerhin auf elf Kilometer Gesamtläng­e, und – wichtiger noch – sie fallen kinderfreu­ndlich flach in die Ostsee ab und erwärmen sich entspreche­nd schnell.

Zurück nach Wismar. Eine Stadt mit so viel Flair spielt natürlich auch eine zentrale Rolle, wenn es um ganz große Kulturvera­nstaltunge­n geht. Zum Beispiel die Festspiele Mecklenbur­g-Vorpommern – das herausrage­nde musikalisc­he Ereignis im Bundesland, zu dem die Stadt zwei ebenso famose Spielstätt­en beisteuert: das gotische Gebirge von St. Georgen, in das die Dresdner Frauenkirc­he glatt zweieinhal­bmal hineinpass­en würde sowie die Heiligen-Geist-Kirche mit umwerfende­n Deckenund Fenstergla­smalereien. Theaterfan­s schließlic­h kommen im Juli und August voll auf ihre Kosten mit Jewgeni Schwarz’ Komödie „Der Drache“und Hofmannsth­als Klassiker „Jedermann“, wiederum in der monumental­en Georgenkir­che.

„Morgens Welterbe

Backstein, am Nachmittag Weltklasse-Strand“

Geschäftsf­ührerin VMO

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FOTOS: EKKEHART EICHLER So ähnlich sah Wismars Hafen schon zu Nosferatus Zeiten aus. In die riesige Georgenkir­che (rechts im Bild) würde die Dresdner Frauenkirc­he zweieinhal­bmal hineinpass­en.
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Die zwei Büsten in bunter barocker Bemalung – sogenannte Schwedenkö­pfe – markierten früher einmal die Hafeneinfa­hrt.

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