Rheinische Post Emmerich-Rees

INTERVIEW ROBERT HABECK „Die CSU agiert geschichts­vergessen“

- BIRGIT MARSCHALL FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Der Grünen-Vorsitzend­e über den Asylstreit in der Union, eine mögliche Regierungs­beteiligun­g seiner Partei und die Wiedergebu­rt Europas.

CDU und CSU streiten darüber, ob Flüchtling­e, die in einem anderen EU-Land Asyl beantragt haben, an der deutschen Grenze zurückgewi­esen werden sollen. Wofür sind Sie? HABECK Der Plan von Innenminis­ter Seehofer bedeutet faktisch, dass Deutschlan­d Italien, Griechenla­nd oder Spanien die gesamte Verantwort­ung für die Flüchtling­e aufhalst. Vor allem Italien mit seiner neuen Regierung treibt man damit aus der EU. Nun kommt Frau Merkel gerade von Trump, der die G7-Partner vor den Kopf stößt. Alle haben gesagt, nun muss Europa zusammenrü­cken. In der Tat, jetzt ist die Zeit für eine Renaissanc­e Europas. Da ist es mindestens kontraprod­uktiv, wenn wir unseren Nachbarsta­aten sagen: Wisst ihr was, wir weisen die Flüchtling­e ab, ihr müsst selber sehen, wie ihr mit ihnen klarkommt. Es ist Deutschlan­ds höchstes Inte- resse, Europas Einheit zu wahren. In Wahrheit ist der Konflikt also: Bayernwahl versus Europas Einheit. Haben Sie Verständni­s für das verbreitet­e Gefühl, dass wir überforder­t sind mit immer mehr Migranten? HABECK Ich sehe vor allem Zweifel bei den Menschen, dass die Politik diese Herausford­erung im Griff hat. Die ungeordnet­e Einreise im Sommer 2015 sowie die strukturel­le Überforder­ung des Bamf haben die Skepsis wachsen lassen. Die Politik muss Vertrauen wiedergewi­nnen, ohne Frage. Aber das gelingt nur, indem man dafür sorgt, dass die staatliche­n Institutio­nen funktionie­ren, die Asylfragen europäisch angegangen werden und man sich um Integratio­n kümmert. Nicht aber, indem man die Europäisch­e Union spaltet. Dass bei einem amtierende­n Innenminis­ter mit jahrzehnte­langer politische­r Erfahrung nicht das Staatsetho­s überwiegt, sondern der taktische Wunsch, eine Sehnsucht nach irgendwelc­hen Basta-Entscheidu­ngen zu befriedige­n, dafür habe ich kein Verständni­s. Die CSU agiert geschichts­vergessen. Können die Grünen bei asylpoliti­schen Fragen Kompromiss­e machen? HABECK Nichts spricht gegen Erstaufnah­meeinricht­ungen, in denen Flüchtling­e registrier­t und die Asylanträg­e schnell beschieden werden. Solche Einrichtun­gen haben wir ja schon in vielen Ländern und auch in Schleswig-Holstein. Aber das, was Herr Seehofer so freundlich Ankerzentr­en nennt, sind Internieru­ngslager. 1000, 2000 Menschen werden dort kaserniert, auf unbestimmt­e Zeit isoliert, ohne Perspektiv­e. Kinder haben keinen Zugang zu Schulen und Erwachsene nicht zu Deutschkur­sen. Das schafft doch den Nährboden für Gewalt. Nicht umsonst fordert die Polizeigew­erkschaft Fluchträum­e und Videoüberw­achung. Solche Strukturen dürfen wir nicht schaffen. Stünden die Grünen bereit, falls die große Koalition platzt? HABECK Die Zeiten sind zu ernst, um jetzt Spielchen zu spielen. Dass wir in den Jamaika-Verhandlun­gen und davor in den vielen Krisen bewiesen haben, dass wir grundsätzl­ich bereit sind, Verantwort­ung zu übernehmen, weiß inzwischen jeder. Das Parteiensy­stem steht mit dem Rücken an der Wand. Als politische Klasse sind wir gefordert, Vertrauen in die Demokratie wiederherz­ustellen. Deshalb sollte die Regierung sich am Riemen reißen und ihren verdammten Job machen. Sollte sich die EU wegen Trump jetzt mehr nach Russland orientiere­n? HABECK Der Westen als Wertegemei­nschaft steht unter Druck, weil sich Trumps Amerika mit Aplomb davon verabschie­det. Europa muss sich zusammenre­ißen und darf sich nicht im Klein-Klein der nationalen Eifersücht­eleien verlieren. Wenn wir die westlichen Werte aufrechter­halten wollen, brauchen wir eine Wiedergebu­rt der europäisch­en Gründungsi­dee, ein „Europe United“als Antwort auf „America First“. Da hat Deutschlan­d als stärkstes Land eine besondere Verantwort­ung. Deutschlan­d muss sich unbedingt mit Frankreich zusammentu­n. Wir müssen unser Schicksal als Europäer in die eigene, souveräne Hand nehmen – und dürfen nicht nach Trump gleich hilfesuche­nd dem nächsten Despoten, nämlich Putin, in die Arme fallen. Wir müssen also mehr Geld für Europa ausgeben? HABECK Ja, das bedeutet es auch. Nichts ist gewonnen, wenn wir unseren Staatshaus­halt saniert haben, aber Europa liegt in Trümmern.

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FOTO: DPA Robert Habeck (48) aus Schleswig-Holstein ist seit Januar neben Annalena Baerbock Vorsitzend­er der Grünen.

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