Rheinische Post Emmerich-Rees

Vier Männer und vier Koffer auf vier Quadratmet­ern

- VON CHRISTOPH ZIEGLER

50 Stunden lang fahren Christoph Ziegler und seine Mitstreite­r mit dem Zug im Mini-Abteil von Sotschi nach Kasan.

Es ist gerade 6.20 Uhr – und ich kann nicht mehr schlafen, obwohl ich komplett fertig bin. Wir halten gerade in Saransk, ein schöner Zwischenst­opp auf unserem Weg nach Kasan. Ich steige aus und vertrete mir kurz die Beine. Es steigen viele Leute zu, und die meisten wissen hoffentlic­h, auf was sie sich einlassen. Ein Mexikaner mit riesigem Sombrero fragt den Schaffner: „Is that the train to Moscow?“Der Schaffner antwortet: „No, that train goes to Novosibirs­k.“

Ich bin mir gerade nicht sicher, ob sich die Qual bis hierhin gelohnt hat, oder ob wir demnächst wieder das Flugzeug benutzen werden. Auf jeden Fall werde ich an diese Fahrt noch sehr lange zurückdenk­en.

Rückblende, etwa 40 Stunden zuvor: Kurz vor der Abfahrt in Sotschi werfe ich noch einen Blick auf die Anzeigetaf­el und staune nicht schlecht: 33 Grad. Am Abteil angekommen, laufen die ersten Schweißper­len. Manch einer flucht und will direkt wieder hinaus.

Man muss sich das einmal vorstellen: Vier große Koffer, vier Tüten Proviant und vier Männer, die teilweise weit mehr als 100 Kilogramm wiegen, müssen sich die kommen-

Christoph Ziegler den 50 Stunden eine „Zelle“teilen, die nicht größer als vier Quadratmet­er ist. Wir sehen eigentlich keine Möglichkei­t, das hier durchzuste­hen, doch es gilt jetzt, die Ruhe zu bewahren und nicht die Nerven zu verlieren.

Steigen wir einfach an der nächsten Haltestell­e wieder aus und fahren zurück? Nehmen wir uns noch für ein, zwei Tage ein Hotel und bleiben am Meer? Fliegen wir dann von Sotschi nach Kasan? Steigen wir nach zehn Stunden in Rostow am Don aus und fliegen von da aus weiter? Wir hatten viele Ideen. Das Ding für die nächsten zwei Tage durchzuste­hen, stand jedenfalls ganz unten auf dem Zettel.

Wir blieben trotzdem: Das Bistro hatte Kaltgeträn­ke an Bord, und so stießen wir auf die kommenden 50 Stunden an. Die Klimaanlag­e wollte nicht so recht anspringen, das Fenster durften wir auch nicht öffnen, also lautete die Devise einfach: weiter schwitzen.

Jetzt ist es fast geschafft und ich sitze neben der Bordtoilet­te, denn die spuckt einen besseren Duft als unser Abteil aus. In Kasan machen wir jedenfalls alle drei Kreuze. Und dann gibt es auch die wohlverdie­nte Dusche. Vor dem Deutschlan­dSpiel steht nur noch Erholung an.

werde ich an diese Fahrt noch sehr lange denken“

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RP-ARCHIVFOTO Weltreisen­der in Sachen Fußball: Christoph Ziegler

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