Die Flussseeschwalbe ist wieder da
In den 80er Jahren drohte sie in Nordrhein-Westfalen auszusterben. Jetzt gibt es wieder 82 Brutpaare am Diersfordter Waldsee. Rekord!
WESEL (P.H.) Wer am Diersfordter Waldsee spazieren geht, erahnt schon, dass es hier um die Vogelwelt gut bestellt ist. Denn die Vielfalt kann nicht nur gesehen, sondern auch gehört werden. Zum Beispiel dann, wenn die Möwen in Hochform sind und schreien. Außerdem lassen sich mit ein bisschen Glück die kunstvollen Flüge der Flussseeschwalben beobachten, die hier ihr Paradies gefunden haben. Immerhin handelt es sich um die größte Flussseeschwalbenkolonie in ganz Nordrhein-Westfalen. Und auch die Heringsmöwen schließen sich der Superlative an, sie bilden hier die größte Binnenlandkolonie.
An den vergangenen Tagen herrschte hier teilweise noch ein bisschen mehr Trubel als ohnehin schon. Denn FlussseeschwalbenExperte Stephan Sudmann vom Planungsbüro Sterna (übersetzt Flussseeschwalbe) war mit Möwen-Fachmann Patrick Kretz von der Nordrhein-Westfälischen Ornithologengesellschaft mit Ringen und Zange unterwegs, um den Nachwuchs zu kennzeichnen. Dazu ging es mit dem Paddelboot der Biologischen Station im Kreis Wesel zu den Brutflößen und auf die Vogelinsel, an Orte, die menschlichen Besuch nicht gewohnt sind. Doch am Ende haben es alle gut überstanden – und in der Natur ist wieder Alltag eingekehrt.
Dass die beiden Vogelarten sich hier wieder niederließen, ist eine Erfolgsgeschichte. Schließlich waren Flussseeschwalben in den 80er Jahren in Nordrhein-Westfalen nahezu ausgestorben und Heringsmöwen gab es überhaupt nicht, weil ihre Heimat die Küste war. Spezielle Brutflöße für die selten gewordene Schwalbenart, erfunden von den Schweizern, drehten den Trend um. Und so gibt es diesmal allein auf dem Diersfordter Waldsee 82 Brutpaare, die weit über 100 Junge hervorbrachten. Rekord! Insgesamt liegen hier drei Brutflöße, darunter ein nagelneues. Und siehe da, als die Vögel im April zurückkehrten, flogen sie auf das blitzeblanke Floß, obwohl sie normalerweise eher konservativ sind, so Sudmann.
Der künstliche Lebensraum wurde notwendig, weil durch den Ausbau des Rheins zur Bundeswasserstraße die ursprünglichen Brutplät- ze in Flussnähe verloren gingen. So gab es Anfang der 80er Jahre nur noch zehn Brutpaare. Das erste Brutfloß wurde 1983 auf dem Diersfordter Waldsee zu Wasser gelassen. Weitere gibt es auf dem Auesee, dem Lipperandsee und der Auskiesung Pettenkaul auf der linken Rheinseite. Anhand der Ringe der Vogelwarte Helgoland mit Stammsitz in Wilhelmshaven kann künftig der Bruterfolg abgeschätzt werden. Außerdem lassen sich Zugwege besser nachvollziehen. Und so gehen verstärkt Meldungen von Vögeln zwischen der Kanalküste und Spanien ein. Die Flussseeschwalben kommen in der Regel im April an den Niederrhein, um Ende Juli ins Winterquartier an der westafrikanischen Atlantikküste zu ziehen. Doch mittlerweile bleiben sogar einige der Vögel hier, hat man festgestellt. Optisch lassen sich Weibchen und Männchen, die mehr als 30 Jahre alt werden können, übrigens nicht unterscheiden. Sie führen eine Saisonehe, bleiben in der Regel mehrere Jahre zusammen. Ist der Bruterfolg allerdings nicht wie gewünscht, sieht man sich nach einem anderen Partner um.
Flussseeschwalben gibt es auf der gesamten Nordhalbkugel – von Nordamerika bis Ostsibirien. Und auch auf den Inseln im Wattenmeer.