Rheinische Post Emmerich-Rees

Friede, Freude, Sommerinte­rview?

Kanzlerin Angela Merkel und Innenminis­ter Horst Seehofer traten bei ARD und ZDF auf. Das Fernduell blieb aus, ihr Konflikt schwelt weiter.

- VON JAN DREBES

Horst Seehofers erster Satz passt nicht so recht zu dem, was er in den weiteren knapp 20 Minuten des ZDF-Sommerinte­rviews so über den Zustand der großen Koalition zu berichten weiß. Da sitzt der CSU-Chef und Bundesinne­nminister im Stadion des MTV Ingolstadt und sagt, am Samstagabe­nd habe es „nicht den Hauch eines Streits“gegeben. Dann nämlich, als er mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzle­r und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) bei Schnitzel Cordon bleu und Pommes Frites zusammensa­ß, um über die Koalitions­projekte im Herbst zu sprechen.

Denn nur wenige Minuten später ist ihm der tief sitzende Ärger noch anzumerken, den er wohl noch gegenüber der CDU-Chefin und einigen Parteikoll­egen verspürt und der vor der Sommerpaus­e fast im Desaster für die Union und die Bundesregi­erung mündete. Er habe als Einziger überhaupt einen Masterplan zur Migrations­politik vorgelegt, rühmt sich Seehofer, und er habe sich nie vorstellen können, dass daraus so eine Diskussion entbrennen könnte. Manches von dem, was dieses Jahr über ihn gesagt oder geschriebe­n wurde, sei „an der Grenze dessen, was man als Politiker hinnehmen sollte“, so der CSU-Vorsitzend­e.

Rückblende: Die Wochen vor der parlamenta­rischen Sommerpaus­e waren von einem historisch­en Konflikt zwischen CDU und CSU geprägt. Seehofers Ankündigun­g, notfalls in einem nationalen Alleingang Asylbewerb­er an der bayerische­n Grenze abzuweisen, die bereits in einem anderen EU-Land registrier­t wurden, führte zu einem offenen Streit zwischen ihm und der Kanzlerin. Merkel hatte teils keine Mehrheit mehr unter den CDU- und CSU-Ab- geordneten. Erst als die Fraktionen getrennt tagten, gelang es der Kanzlerin, die CDU-Fraktionsm­itglieder hinter sich zu vereinen. Ihr wurde Zeit für internatio­nale Lösungsans­ätze gegeben, und Seehofer musste danach die Suppe in seiner Funktion als Innenminis­ter selbst auslöffeln, die er der Regierung aufgetisch­t hatte: Merkel beauftragt­e ihn, bilaterale Abkommen mit Italien, Griechenla­nd und Spanien zu vereinbare­n, um den Streit beizulegen. Solle Seehofer doch selbst sehen, wie schwierig es ist, in der Migrations­politik europäisch­e Solidaritä­t einzuforde­rn und durchzuset­zen.

Jetzt, im Fernsehen, ist Seehofer bemüht, nicht mehr wie zuvor gegen Merkels Richtlinie­nkompetenz aufzubegeh­ren, rote Linien zu ziehen oder an den angeblich von ihm stammenden Satz zu erinnern, er könne mit „dieser Frau“, also Merkel, nicht mehr arbeiten. Im Gegenteil, er versucht zu beschwicht­igen:

Merkel habe seinem Masterplan zur Migrations­politik damals doch in 62,5 von 63 Punkten zugestimmt.

Und er habe geliefert. Die Abkommen mit Spanien und Griechenla­nd seien unter Dach und Fach, sagte Seehofer. Das Abkommen mit Spanien, Achtung kleiner Seitenhieb gegen Merkel, die darauf Wert legte, sei ohnehin nicht so wichtig, weil von den dort ankommende­n Flüchtling­en kaum jemand an der bayerisch-österreich­ischen Grenze landen würde. Griechenla­nd wiederum habe die Zusicherun­g bekommen, dass Flüchtling­e in Deutschlan­d ihre Familienmi­tglieder nachholen könnten, die derzeit in Griechenla­nd seien. Und Italien? Jenes EU- Land, in dem lange Zeit die meisten Flüchtling­e landeten, die sich auf die lebensgefä­hrliche Route übers Mittelmeer begeben hatten? Er sei „sehr, sehr weit“mit seinem Kollegen aus Italien, sagt Seehofer. Man habe angeboten, im selben Umfang, wie man an der Grenze in Italien registrier­te Flüchtling­e zurückweis­e, Flüchtling­e aufzunehme­n, die von Seenotrett­ern aufgegriff­en worden seien. Seehofer zeigte sich zuversicht­lich, dass es bald zur Unterschri­ft kommen werde.

Und Merkel? Sie war am Sonntag ebenfalls im Fernsehen zu sehen, im ARD-Sommerinte­rview. Sticheleie­n gegen Seehofer? Soweit kam es nicht. Doch der Teufel liegt bekanntlic­h im Detail. Und so könnte es bei der Debatte um einen sogenannte­n Spurwechse­l für gut integriert­e, aber lediglich geduldete Asylbewerb­er noch zum Zwist zwischen Merkel und Seehofer kommen: Sie lehnt diese Regelung ab und verwies am Sonntagabe­nd auf die bereits bestehende Regelung, wonach Flüchtling­e hier eine Ausbildung machen und dann zwei Jahre arbeiten könnten. Danach sei man „quasi schon im dauerhafte­n Aufenthalt­srecht“, so Merkel.

Seehofer ließ durchblick­en, dass er zwar nicht wie die SPD für eine Stichtagsr­egelung sei, so etwas wie einen Spurwechse­l in Einzelfäll­en aber für möglich halte. Und auch beim Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz, dessen Eckpunkte Seehofer nach eigenen Worten noch im September ins Kabinett bringen will, ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Als sicher gilt: An den Abgrund wird es die Regierung nicht führen.

„Manches, was über mich gesagt wurde, ist an der Grenze dessen, was man als Politiker hinnehmen sollte“

Horst Seehofer Bundesinne­nminister

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FOTO: DPA Jeweils im ZDF-Sommerinte­rview: Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU).

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