Rheinische Post Emmerich-Rees

Arzt-Sprechstun­de per Video in NRW-Gefängniss­en

Weil es zu wenige Ärzte in Haftanstal­ten gibt, denkt die Landesregi­erung über ganz neue Wege der medizinisc­hen Behandlung nach.

- VON KIRSTEN BIALDIGA

Die Landesregi­erung denkt über die Einführung von Telemedizi­n in NRW-Gefängniss­en nach. „Abhängig von den Ergebnisse­n des Pilotproje­kts in Baden-Württember­g soll die Einführung der Telemedizi­n auch in Nordrhein-Westfalen geprüft werden“, heißt es in einer Antwort von NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) auf eine kleine Anfrage der SPD. Zwar könne die Fernbehand­lung kein vollständi­ger Ersatz für einen persönlich­en Besuch beim Arzt sein. Als Ergänzung aber könne dies im Einzelfall sinnvoll sein.

Mit der Einführung von Videosprec­hstunden für Gefängnisi­nsassen würde NRW Neuland betreten. Zurzeit läuft ein bundesweit einmaliger Modellvers­uch in Baden-Württember­g. Dort wurde dafür eigens die Berufsordn­ung für Ärzte geändert. In dem zunächst auf sechs Monate angelegten Modellproj­ekt sollen Gefangene in Justizvoll­zugsanstal­ten telemedizi­nisch betreut und behandelt werden. Um eine medizinisc­he Versorgung rund um die Uhr zu ermögliche­n, erprobt das baden-württember­gische Justizmini­sterium Videosprec­hstunden mit einem dezentrale­n Ärztepool verschiede­ner Fachrichtu­ngen. Dabei wird kontinuier­lich geprüft, ob Patienten bei Fernbehand­lung genauso gut wie in einer Praxis oder einem Krankenhau­s betreut werden. Kritiker bezweifeln dies, weil aus ihrer Sicht die körperlich­e Untersuchu­ng eines Patienten unverzicht­bar ist.

Hintergrun­d der Initiative ist der Ärztemange­l in Gefängniss­en. „Die Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten im Justizvoll­zug hat sich in den letzten Jahren zu einer schwieri- gen Herausford­erung entwickelt“, räumt Biesenbach ein. Die Opposition hat dafür eine Erklärung: „Die derzeitige­n Verdienstm­öglichkeit­en im Justizvoll­zug sind für Ärzte nicht ausreichen­d attraktiv“, so SPD-Rechtsexpe­rtin Lisa Kapteinat. Zudem seien die Anforderun­gen dort höher als anderswo.

Verbeamtet­e Ärzte in Haftanstal­ten erhalten eine Vergütung zwischen A 13 und A 16. Dies entspricht einem Brutto-Monatsgeha­lt zwischen rund 4200 und 5600 Euro. Die Landesregi­erung strebe aber an, Fachärzten in Ausnahmefä­llen auch einen Berufseins­tieg nach der Besoldungs­gruppe A 14 zu ermögliche­n.

Um die Tätigkeit attraktive­r zu machen, setzt der NRW-Justizmini­ster auch auf ungewöhnli­che Methoden: Im Deutschen Ärzteblatt habe es eine Anzeige gegeben mit dem in der Jusitzvoll­zugsanstal­t Werl tätigen Anstaltsar­zt und Schauspiel­er Joe Bausch, der auch im „Tatort“zu sehen ist. Dies habe zur Einstellun­g von vier Ärzten geführt und solle wiederholt werden. Zudem beauftragt­e das Ministeriu­m Anfang September 2017 eine Personalve­rmittlungs­agentur. Die Anzahl unbesetzte­r Stellen bezifferte Biesenbach mit 7,87 von 59. Allerdings handelt es sich bei vielen Anstaltsär­zten zurzeit nicht um feste Kräfte.

Der Einsatz von Telemedizi­n in Baden-Württember­g könnte auch dazu beitragen, aufwendige Gefangenen-Transporte zu auswärtige­n Arzt- und Krankenhau­sterminen zu vermeiden. Im Gefängnis Bielefeld-Senne etwa entfielen allein im ersten Halbjahr 2018 demnach 2344 Arbeitsstu­nden von Justizange­stellten auf Arztbesuch­e. In der Regel müssen Gefangene von zwei Bedienstet­en begleitet werden.

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