Wohnungsmarkt-Misere bekommt eine Bühne
Der Theatermacher und Sänger Schorsch Kamerun weiß, was es bedeutet, wenn ein Stadtteil gentrifiziert wird. Er war in jungen Jahren selbst einer der Kreativen, die in Hamburg nach St. Pauli zogen, weil das Viertel Flair hatte und man dort eine Bude für 150 Mark bekommen konnte. Heute ist St. Pauli einer der begehrtesten Stadtteile Hamburgs, eine Marke. Eine Wohnung können sich nur noch Besserverdiener leisten, alt eingesessene Anwohner gibt es kaum noch. Für die Ruhrtriennale spielt Schorsch Kamerun jetzt durch, wie es in der Dortmunder Nordstadt aussehen könnte, wenn dort Ähnliches geschähe. Seine „Nordstadt Phantasien“sind nicht weit weg von der Wirklichkeit.
Der Kiez hinter dem Dortmunder Hauptbahnhof ist in den vergangenen Jahren einerseits bekannt geworden als „Problemviertel“mit Drogenumschlagplatz, Straßenstrich und Schrottimmobilien. Andererseits hängen an genau der Straßenecke, die Schorsch Kamerun für seine Inszenierung im öffentli- chen Raum gewählt hat, auch hippe, junge Menschen in angesagten Bars herum oder zischen ein Bier am Kiosk.
Die „Nordstadt Phantasien“funktionieren auf zwei Ebenen: Die Menschen im Viertel leben ihr Leben zwischen türkischem Kiosk, Spielplatz und Wettbude weiter, werden dabei aber überraschend zum Publikum von schrägen und rätselhaften Auftritten und Performances wie einer Stadtführung mit Szene-Kiez-Führer, einer Wrestling-Show oder einem Tanz der aufblasbaren Schwäne. Auf einer überdachten Tribüne auf der anderen Straßenseite sitzt das Ruhrtriennale-Publikum hinter einer Glasscheibe und hört über Kopfhörer die Live-Musik von PC Nackt, den assoziativ-sloganhaften (Sprech-)Gesang Schorsch Kameruns und Texte von zwei Schauspielern. Sie machen aus dem Treiben vor der Scheibe die Erzählung einer nicht besonders freundlichen Übernahme: Die durchgedrehten Künstler und Kreativen, die sich hier in knallbunten Kostümen unters Volk mischen, werden bald die einzigen sein, die sich die Mieten noch leisten können.
Das Perfide an Kameruns Inszenierung ist, dass er die echten Nordstadt-Menschen mehr oder weniger freiwillig zu Statisten oder sogar Darstellern ihrer selbst in der Zukunft macht. Denn vielleicht ist der Tag nicht mehr fern, an dem sie ihre eigene Abschaffung erleben. Der Tag, an dem ein Typ wie der im Stück von Paul Herwig gespielte Investor (der natürlich für ein Düsseldorfer Real-Estate-Unternehmen arbeitet) die Nordstadt als spannenden Szene-Kiez entdeckt – und einen Aufwertungs- und damit Verdrängungsprozess in Gang setzt.