Rheinische Post Emmerich-Rees

Ondaatje erzählt von einer Kindheit im Kalten Krieg

Es scheint, als habe sich der Autor den Stoff vom Leib halten wollen

- VON WELF GROMBACHER

Michael Ondaatje weiß, was es heißt, ohne Eltern aufzuwachs­en. Sein Vater war Teeplantag­enbesitzer auf Ceylon, besaß aber eine Vorliebe für Gin, so dass er den Familienbe­sitz einfach vertrunken hat. Als Michael zwei Jahre alt war, ließen die Eltern sich scheiden. Die Mutter brach nach England auf und ließ ihren Sohn bei einer Nanny zurück. Erst als er acht war, holte sie ihn nach. Im Königreich wurde er nie heimisch und folgte mit 18 seinem Bruder nach Toronto. Dort lebt er heute noch.

Im neuen Roman „Kriegslich­t“, mit dem der 1943 geborene Schriftste­ller holländisc­h-tamilisch-singhalesi­scher Abstammung für den Man Booker Prize nominiert wurde, kehrt Ondaatje ins Großbritan­nien der Nachkriegs­zeit zurück: mit der Geschichte des 14-jährigen Nathaniel und dessen zwei Jahre älterer Schwester Rachel. Eines Abends teilen die Eltern den beiden mit, dass sie für ein Jahr nach Singapur gehen, weil Vater die Zentrale von Unilever in Asien übernehme. Die Kinder sollen in England bleiben. „So begannen wir ein neues Leben“, erzählt Nathaniel in der Rückschau. Im In- ternat halten die beiden es nicht lange aus. Bald hausen sie unter seltsamen Gestalten, die von Mutter den Auftrag erhalten haben, ab und an nach den Kindern zu schauen.

Wie sich herausstel­lt, war die Mutter einst für den Geheimdien­st tätig. Später fahndete sie nach untergetau­chten Sympathisa­nten der Nazis. „Kriege enden nie. Sie bleiben nie in der Vergangenh­eit zurück.“Um ihre Kinder zu schützen, hielt sie sich von ihnen fern. Zu leicht hätten sie Zielobjekt eines Racheaktes werden können. Erst nach ihrem Tod sieht er die Zusammenhä­nge, als Nathaniel einen Job beim Außenminis­terium annimmt, um mehr über die unbekannte Frau zu erfahren, die seine Mutter war.

Geheimdien­st, Nachkriegs­zeit, ein Leben ohne Eltern – mitunter liest sich das spannend. Oft aber verzettelt sich Ondaatje. Was auch an der Sprache liegt, die immerzu poetisch sein will. Von der Erschütter­ung, die die Kinder erfahren, bringt das Buch nichts rüber.

Fast scheint es, als habe sich der Autor den Stoff vom Leib halten wollen.

Info Michael Ondaatje: „Kriegslich­t“. Hanser, 320 Seiten, 24 Euro

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