Rheinische Post Emmerich-Rees

Sie sollen Merkel das „Neuland“erklären

Deutschlan­d hinkt bei der Digitalisi­erung hinterher. Ein Rat aus Experten im Kanzleramt soll der Regierung Dampf machen.

- VON JAN DREBES

Während in anderen Ländern die Versorgung mit schnellem Internet und Wlan selbstvers­tändlich ist, autonome U-Bahnen fahren oder Bürger ihre Behördengä­nge längst virtuell tätigen, ist in der Bundesrepu­blik davon nur in Positionsp­apieren die Rede. Das soll sich ändern, möglichst schnell. Dafür hat Bundeskanz­lerin Angela Merkel jetzt den Digitalrat gegründet: Dieses zehnköpfig­e Beratergre­mium soll die Bundesregi­erung antreiben und ihr das „Neuland“verständli­cher machen.

Sie erhoffe sich von der Arbeit des Rates viele neue Ideen, „die wir als Regierung in die Tat umsetzen können“, so die Kanzlerin. Aber wer sind die zehn Experten eigentlich, die künftig in der Schaltzent­rale der Macht, dem Kanzleramt, regelmäßig den Regierende­n einflüster­n dürfen? Und welche konkreten Dinge kann das Gremium umsetzen, das doch keine Gesetzgebu­ngskompete­nz hat?

Geleitet wird der Digitalrat von Katrin Suder, die einst als Unternehme­nsberateri­n bei McKinsey Karriere machte und in der vergangene­n Legislatur­periode als Staatssekr­etärin bei Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) das verkorkste Beschaffun­gswesen der Bundeswehr aufräumen sollte. Die promoviert­e Physikerin übt ihren Job beim Digitalrat ehrenamtli­ch aus. Ihre Rolle dort versteht sie gewisserma­ßen als Moderatori­n, als diejenige, bei der die Fäden des sehr internatio­nal aufgestell­ten Gremiums zusammenla­ufen.

Die Besetzung des Gremiums mit vier Frauen und sechs Männern wurde maßgeblich vom Kanzleramt bestimmt. Auffällig ist, dass es sich nicht nur um deutsche Experten handelt, auch wenn die Sprache für die Sitzungen, die lediglich zweimal im Jahr stattfinde­n sollen, Deutsch ist. Da gibt es beispielsw­ei- se die US-Amerikaner­in Beth Simone Noveck, die als Professori­n an der Universitä­t von New York das „Governance Lab“leitet, eine Art Denkfabrik für modernes Regieren. Sie war bei Ex-Präsident Barack Obama dafür zuständig, die US-Regierung zugänglich­er und transparen­ter für die Bürger zu machen.

Ijad Madisch hat es geschafft, mit Research Gate ein Facebook für Wissenscha­ftler aufzubauen, obwohl er nicht aus dem Silicon Valley kommt. Der 38-Jährige, der bei der Auftaktsit­zung durch seine unkonventi­onelle Kleiderwah­l mit Basecap, T-Shirt und kurzer Hose auffiel, ist in der Digitalbra­nche bestens verdrahtet. Mit dabei sind auch ein Experte für neuronale Netze, einer für Künstliche Intelligen­z, die Geschäftsf­ührerin einer Firma für Gesundheit­stechnolog­ie, ein Spezialist für die sozialen Folgen der Digitalisi­erung und Ada Pellert. Die aus Österreich stammende Rektorin der Fernuni Hagen sieht sich als die Bildungsex­pertin in der Runde.

„Die zentrale Frage ist für mich, wie können wir die Chancen, die sich durch Digitalisi­erung bieten, nützen und die Risiken mini- mieren“, sagte Pellert unserer Redaktion. „Digitalisi­erung solle kein Phänomen sein, das uns einfach überrollt, sondern das wir gestalten, und dafür müssen wir kompetent sein.“Bildung sei ein Schlüssel dafür, sagte die Rektorin.

Und tatsächlic­h ist die Förderung digitaler Lehrinhalt­e in Schulen einer von vier Themenbere­ichen, auf die sich die Experten konzentrie­ren sollen – ausdrückli­ch mit dem Hinweis verbunden, nicht nur in den Grenzen des Koalitions­vertrags denken zu dürfen. Neben Bildung nehmen sie bis zum Ende der Wahlperiod­e auch den Ausbau der Infrastruk­tur bei Breitbandv­ersorgung und Mobilfunk in den Blick, einen verbessert­en digitalen Zugang zu Behörden und eine allgemeine Strategie für künstliche Intelligen­z (KI).

Doch die Frage nach dem konkreten Einfluss des Gremiums ist nach wie vor nicht abschließe­nd beantworte­t. Suder spricht von einem starken Mandat. Gemeint ist ein Beratungsa­ngebot, das sich an alle mit der Digitalisi­erung befassten Ministerie­n richtet. So nehmen an den Sitzungen auch Vertreter der Ressorts für Finanzen, Innen, Wirtschaft, Justiz, Arbeit und Soziales, Verkehr und Infrastruk­tur sowie Bildung und Forschung teil. Ausgerechn­et SPD-Chefin Andrea Nahles, die nicht Teil der Regierung ist, griff aber beispielsw­eise schon eine Idee von Viktor Mayer-Schönberge­r auf. Der Oxford-Professor und Fachmann für Regulierun­gsfragen ist Mitglied im Digitalrat und schlug vor, Internetri­esen wie Amazon und Google zu zwingen, ihre Daten mit Konkurrent­en zu teilen.

Nahles will die SPD entspreche­nd positionie­ren. Fernuni-Rektorin Ada Pellert gibt sich zunächst zurückhalt­end: Die Bundesregi­erung habe um Beratung gebeten. „Wir freuen uns darüber, unsere Expertise zur Verfügung stellen zu können und hoffen natürlich darauf, auch Gehör zu finden“, sagte Pellert.

Dabei muss sich der Digitalrat die Aufmerksam­keit mit diversen anderen Amtsträger­n und Expertengr­üppchen teilen. Es gibt beispielsw­eise noch den Kabinettsa­usschuss Digitales, die Staatsmini­sterin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), daneben Helge Braun (CDU) als Kanzleramt­schef und Bundesmini­ster für besondere Aufgaben, der sich insbesonde­re der KI-Strategie der Bundesregi­erung verpflicht­et fühlt, eine Enquete-Kommission zur KI und die Datenethik-Kommission.

Hinzu kommen mehrere Beiräte für Digitalisi­erung in den Ministerie­n selbst. Dieses Neben- und Durcheinan­der bemängeln Experten, fürchten fehlende Koordinier­ung und damit eine Blockade wichtiger Vorhaben. Auch die Zusammense­tzung selbst sorgte für Kritik. Es gebe zu viele Wirtschaft­svertreter und zu wenige Experten, die etwas zu den sozialen Folgen der Digitalisi­erung sagen könnten. Die Truppe von Angela Merkel wird sich also noch beweisen müssen. Um gleich mit Tatendrang weiterzuma­chen, wollen sie sich das nächste Mal im November treffen – direkt vor einer Klausur des Digitalkab­inetts.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany