Kohlschreibers großer Coup
Das hat wohl niemand erwartet: Philipp Kohlschreiber ist der letzte deutsche Tennisprofi bei den US Open. Vor dem Achtelfinale sprechen alle Zahlen gegen ihn. Der überraschende Sieg über Alex Zverev aber spricht für ihn.
(sid) Alexander Zverev fiel es offensichtlich schwer, eine eindeutige Erklärung für seine nächste Grand-Slam-Pleite zu finden. Mal lobte er seinen Kontrahenten Philipp Kohlschreiber (34) für dessen schlaues Spiel, mal machte er seine eigene Fehlerquote für das Drittrunden-Aus bei den US Open verantwortlich. Die kühleren Bedingungen am Abend hätten zudem eine Rolle gespielt. Und auch sein Schläger sei ein wenig zu hart bespannt gewesen.
So ratlos Zverev (21) auf dem Platz bisweilen hinterhergelaufen war, so überfordert tappte er auch durch die öffentliche Analyse. Beim 7:6 (7:1), 4:6, 1:6, 3:6 bekam der Jungstar von einem „alten Mann“, wie sich Kohlschreiber vor dem Match selbst genannt hatte, die Grenzen aufgezeigt. Oder wie es der 13 Jahre ältere Routinier ausdrückte: „Vielleicht habe ich ihm und seinem Team gezeigt, wo er noch nicht weltklasse ist.“
Mit Spielfreude und Variabilität überraschte Kohlschreiber seinen Davis-Cup-Kollegen und schaffte als einziger Deutscher den Sprung in die zweite Turnierwoche in New York. Während Jan-Lennard Struff (Warstein) gegen den Belgier David Goffin beim 4:6, 1:6, 6:7 (4:7) weitgehend chancenlos war, zog Kohlschreiber zum fünften Mal in New York ins Achtelfinale ein. Dort versucht er am Montag gegen Kei Nishikori aus Japan, den Finalisten von 2014, erstmals die Runde der besten Acht zu erreichen.
Zverev muss sich dagegen an die Arbeit machen. Erneut erfüllte er die hohen Erwartungen, die er selbst an sich stellt, nicht einmal im Ansatz. Gemeinsam mit Ivan Lendl, den er wenige Tage vor dem Turnierbeginn als seinen neuen Coach vorgestellt hatte, will und muss er Lösungen finden, um auch endlich bei den Grand Slams zu überzeugen. „Dafür habe ich ihn verpflichtet“, sagte Zverev.
Lendl habe ihn schon vor dem ersten Match in Flushing Meadows gewarnt. Es sei ein langer Weg, „ein Prozess“, bis man bei den vier wich- tigsten Turnieren der Welt sein bestes Tennis abrufen könne. „Hoffentlich spielst du gut bei den US Open, aber wir schauen mehr auf die kommenden Jahre“, habe Lendl gesagt. Trotzdem wollte Zverev weit kommen. „Aber Wünsche“, sagte er, „werden nicht immer wahr“.
Daran hatte Kohlschreiber einen nicht geringen Anteil. Mit diesem Teil seiner Analyse hatte Zverev vollkommen recht. Obwohl der gebürtige Augsburger den ersten Satz unnötig abgab, zog er sein Spiel mit dem tiefen Slice, dem hohen Topspin und den fiesen Winkeln erbarmungslos durch. „Wenn ich mit ihm an der Grundlinie ins Rückhandduell gehe, spielt er in einer anderen Liga“, sagte Kohlschreiber: „Zum Glück kam meine Spielsituation öfter vor.“
Auch wenn Zverev in vielen Momenten der Plan B fehlte, wollte sein Bezwinger keine Zweifel am Potenzial und den Fähigkeiten des dreimaligen Masterssiegers aufkommen lassen. „Sascha ist die Nummer vier der Welt, er gewinnt riesige Turniere und er ist noch so jung. Er macht eigentlich alles richtig“, sagte Kohlschreiber, gab jedoch zu bedenken: „Nur auf seine zwei, drei Stärken sollte man sich aber nicht verlassen, sondern alles in Betracht ziehen.“