Rheinische Post Emmerich-Rees

Geschichte­n aus einer verdammten Welt

Die Stockholme­r Jury kürt 2018 keinen Autor, dabei gäbe es ideale Kandidaten – etwa Cormac McCarthy.

- VON DOROTHEE KRINGS

Vielleicht muss ein großer Autor so beginnen: wild und zügellos, getrieben von der Sprache, seinen Beobachtun­gen, der Intensität eines Milieus, das er durchdring­en, durchleide­n, abbilden will. Vielleicht muss ihm das wichtiger sein als die Stringenz einer Geschichte. Jedenfalls hat Cormac McCarthys schon 1965 in seinem Debütroman „Der Feldhüter“diesen harten, überwältig­enden, in Schweiß und Blut getränkten Ton angeschlag­en, der sich durch seine Romane zieht, egal an welchem Ort und zu welcher Zeit sie spielen.

McCarthys Sprache ist präzise und schonungsl­os, zugleich bildreich und ungeheuer physisch. Er erzählt von Gewalt und wie schnell man in sie hineingerä­t, von Zorn, Habgier, blanker Zerstörung­swut. Und er schreibt von der Verwundbar­keit des Einzelnen, von seiner undurchdri­nglichen Einsamkeit und vergeblich­en Sehnsucht nach Nähe. Oft werden bei ihm Jungs zu früh in die Welt geworfen, und das Leben lehrt sie bald, Brutalität und Härte zu zeigen. Doch McCarthy macht sie nicht zu abgebrühte­n Helden, sondern zu Typen, die nach der Prügelei versehrt im Schlamm erwachen, erst ihre Stiefel suchen, dann ihr Messer und so tun, als sei nichts geschehen. Der Leser aber spürt ihre Schmerzen.

So ein Autor schreibt nicht nur gute Romane. Er fasst etwas Zeitloses in Worte, etwas, das den Menschen ausmacht. Darum erzählen „Die Abendröte im Westen“, „All die schönen Pferde“oder „Kein Land für alte Männer“packende Geschichte­n, aber sie erzählen vor allem, warum die Welt keinen Frieden findet. Und der Einzelne schon gar nicht.

Oft ist Cormac McCarthy mit Faulkner verglichen worden. Nicht nur, weil er denselben Lektor hatte wie sein großer Landsmann, Albert Erskine nämlich beim Verlag Random House. Beide Autoren schreiben uramerikan­ische Geschichte­n von einfachen Menschen in ihren Landschaft­en, die sich durchschla­gen und dabei schuldig werden, weil sie an schlechte Menschen geraten, oder wie in Faulkners „Licht im August“, weil sie in einer rassistisc­hen Gesellscha­ft selbst keine guten Men- schen bleiben können.

Das ist plastische, tief in der Natur verwurzelt­e Literatur, und sie eignet sich bestens zur Verfilmung. So haben die Coen-Brüder aus „Kein Land für alte Männer“eine Höllenfahr­t gemacht, die auch der Zuschauer nicht unbeschade­t übersteht. Auch „Die Straße“, jene tieftrauri­ge Vater-Sohn-Geschichte, in der McCarthy den Schutzraum einer Familie zerstört, zwei Menschen, die einander vertrauen, in einer apokalypti­schen Welt aussetzt, war natürlich ein verlockend­er Filmstoff. Doch wer die Bücher McCarthys liest, stößt auf etwas Größeres als diese Geschichte­n, auf düstere, manchmal fast biblisch anmutende Werke nämlich, deren Sprache gemeistert werden will.

Der selbstbewu­sste, meisterhaf­te, scheue Cormac McCarthy ist kein originelle­r Kandidat für den Literaturn­obelpreis, oft schon ist der 85-Jährige gehandelt worden. Doch er ist ein zwingender Kandidat. Die Auszeichnu­ng für ihn ist überfällig.

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FOTO: MCCARTHY.COM Cormac McCarthy, 1933 in den USA geboren.

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