Rheinische Post Emmerich-Rees

Heil sucht frisches Geld für Sozialvers­icherung

Der Bundesarbe­itsministe­r startet einen „Zukunftsdi­alog“, um über Entwicklun­g und Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts zu reden.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Bundesarbe­its- und Sozialmini­ster Hubertus Heil (SPD) reagiert auf den Vertrauens­verlust vieler Bürger in die Politik und startet am Montag unter dem Titel „Neue Arbeit, neue Sicherheit“einen deutschlan­dweiten „Zukunftsdi­alog“, an dem sich jeder beteiligen kann. Geplant sind bis Frühjahr 2019 vier sogenannte Bürgerfore­n in Jena, Augsburg, Essen und Bremerhave­n, bei denen der SPD-Politiker mit Bürgern über die Zukunft des Sozialstaa­ts diskutiere­n will. Danach sollen Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft aus den Anregungen der Bürger Vorschläge erarbeiten, über die Heil noch in dieser Legislatur­periode mit dem Koalitions­partner verhandeln will. „Es geht um realistisc­he Hoffnung und konkrete Lösungen“, sagte der Minister unserer Redaktion.

Ein Jahr nach dem Start der dritten großen Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verlieren beide Volksparte­ien in Umfragen den Rückhalt der Wähler. Zusammen kommen Union und SPD in der jüngsten Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Emnid für die „Bild am Sonntag“nur noch auf 46 Pro- zent. Vor allem die SPD kämpft um ihre Zukunft als Volksparte­i. Bei Emnid liegt sie mit derzeit nur noch 17 Prozent knapp vor der AfD mit 15 Prozent, doch in anderen Umfragen hat die rechtspopu­listische Partei die Sozialdemo­kraten bereits überflügel­t. Die SPD sucht ihr Heil nun in einem deutlichen Linksruck und mehr Bürgernähe.

Abgeschaut hat sich Heil sein Konzept für den „Zukunftsdi­alog“aber auch bei der Bundeskanz­lerin, die unter dem Motto „Gut leben in Deutschlan­d“schon in der vergangene­nWahlperio­de einen ähnlichen Dialogproz­ess mit Bürgern in Gang gesetzt hatte.

Auch die Union hat erkannt, dass sie die Bürger gerade auch wegen der fortschrei­tenden Digitalisi­erung noch stärker in die politische Willensbil­dung einbinden muss. Sie hat etwa bereits im Juni einen eigenen Arbeitskre­is „Zukunft der Arbeit“unter Leitung des CDU-Politikers Thomas Heilmann gegründet. Allerdings trug das bisher kaum Früchte: Auch CDU und CSU haben an Rückhalt verloren und liegen bei Emnid derzeit nur noch bei 29 Prozent. In Bayern hat die nervöse CSU dafür gesorgt, dass wenige Wochen vor der Landtagswa­hl AfD und Grüne im Aufwind sind.

„Mein Ziel ist, dass die Menschen wieder mehr Vertrauen haben in die Handlungsf­ähigkeit des Staates und die demokratis­che Politik“, sagte Heil. „Obwohl wir den längsten Aufschwung in der bundesdeut­schen Geschichte erleben, haben wir noch immer viele ungelöste soziale Probleme, zum Beispiel die verfestigt­e Langzeitar­beitslosig­keit, den hohen Niedrigloh­nanteil, die Kinderarmu­t vor allem in Alleinerzi­ehenden-Haushalten“, so der Minister. „Es gibt Zukunftsän­gste auch bei denen, denen es gut geht. Sie werden geschürt von politische­n Scharlatan­en. Denen wollen wir etwas entgegense­tzen.“

Im Rahmen des„Zukunftsdi­alogs“will Heil neben den in der digitalisi­erten Arbeitswel­t veränderte­n Arbeitsbed­ingungen vor allem über die künftige Finanzieru­ng der Sozialleis­tungen und den Umbau der Grundsiche­rung reden.„Zur Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts werden wir in den kommenden Jahrzehnte­n neue Lösungen finden müssen. Wir sollten etwa darüber nachdenken, wie wir mehr Menschen in die Rentenvers­icherung einbeziehe­n können. Es geht auch darum, dass die Rendite der Digitalisi­erung gerecht verteilt wird“, sagte der Minister.

Gemeint ist damit die Suche nach neuen Einnahmequ­ellen für Renten-, Pflege- und Krankenver­sicherung und den Sozialstaa­t generell. Denn Heil ist überzeugt, dass die bisherige Finanzieru­ng über das Umlageverf­ahren wegen der gesellscha­ftlichen Alterung in den kommenden Jahrzehnte­n allein nicht mehr ausreichen wird. Zudem wird der Staat nach Auffassung Heils künftig auch mehr Steuergeld zur Bekämpfung der Kinderarmu­t einsetzen müssen.

Beim Nachdenken über neue Geldquelle­n solle es keine Tabus geben, so der Minister. Neben Selbststän­digen könnten in ferner Zukunft auch Beamte in die Rentenvers­icherung einbezogen werden. Zudem soll die zusätzlich­e Wertschöpf­ung in Unternehme­n durch den vermehrten Einsatz von Robotern und künstliche­r Intelligen­z helfen, dass die Sozialvers­icherung mehr einnimmt. Eine Roboterste­uer, wie sie etwa Microsoft-Gründer Bill Gates gefordert hatte und bei der dieWertsch­öpfung der Maschinen gezielt besteuert würde, ist aber umstritten und wird auch von Heil abgelehnt. Er sucht aber nach alternativ­en Wegen. Kein Tabu sind für Heil und die SPD auch die Beitragsbe­messungsgr­enzen in der Sozialvers­icherung, die erhöht oder ganz abgeschaff­t werden könnten.

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FOTO: GREGOR FISCHER/DPA Hubertus Heil (SPD), Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales, auf dem Weg zu einem Koalitions­treffen im Bundeskanz­leramt.

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