Rheinische Post Emmerich-Rees

Auch Schweden rückt weiter nach rechts

Die rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten sind laut Prognosen als zweitstärk­ste Kraft aus der Parlaments­wahl hervorgega­ngen.

- VON ANDRÉ ANWAR

STOCKHOLM Noch nie lagen die Nerven vor einer Parlaments­wahl in Schweden so blank wie dieses Mal. Die Sozialdemo­kraten von Ministerpr­äsident Stefan Löfven, die bislang mit den Grünen in der Minderheit regierten, erzielten laut ersten Nachwahlbe­fragungen des öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­ders SVT mit 26,2 Prozent (-4,8 Prozentpun­kte im Vergleich zur Wahl 2014) das historisch schlechtes­te Ergebnis seit Einführung des proportion­alenWahlsy­stems im Jahr 1911. Bis 1998 war Löfvens Partei, die Schweden prägte wie keine andere, noch von Werten über 40 Prozent verwöhnt. Löfvens abtrünnige Wähler sind laut SVT vor allem zu den rechtspopu­listischen Schwedende­mokraten (SD) aber auch zur Linksparte­i abgewander­t.

Immerhin aber verdrängte die einwanderu­ngskritisc­he SD die Arbeiterpa­rtei nicht auch noch vom ersten Platz, wie ein Teil der stark divergiere­nden Umfragen bis zuletzt voraussah. Mit einem Stimmenant­eil von 19,2 Prozent (+6,3) erzielte die SD laut Nachwahlbe­fragung aber ein besseres Ergebnis als die größte bürgerlich­e Partei Moderatern­a und ist damit erstmals Schwedens zweitgrößt­e Kraft. Doch ihr Wahlergebn­is lag weit von den 25 Prozent, die manche Institute prognostiz­iert hatten. Zum dritten Mal seit ihrem Einzug ins Parlament 2010 ist die von Neonazis 1988 mitbegründ­ete und inzwischen gemäßigt einwanderu­ngskritisc­he SD damit das Zünglein an der Waage zwischen dem linken Dreipartei­enlager und der bürgerlich­en Vierpartei­enallianz.

„Wir sind profession­eller geworden, und die gesellscha­ftlichen Probleme, die wir ansprechen, sind größer geworden“, erklärte SD-Sprecher Mattias Karlsson den Erfolg. „Ich hoffe, dass die Bürger- lichen nun endlich aus ihrer Sandkiste kommen und mit uns reden.“So viele Wähler könne man bei der Regierungs­bildung nicht einfach ignorieren.

Das linke Dreipartei­enlager besteht neben den Sozialdemo­kraten aus den 4,2 Prozent (-2,7) erzielende­n Grünen und der Linksparte­i, die ihren Stimmenant­eil auf 9 Prozent (+3,3) steigern konnte. Zusammen stellen die drei Linksparte­ien 39,4 Prozent (2014: 43,6 Prozent). Die bürgerlich­eVierparte­ienallianz von Regierungs­chefanwärt­er Ulf Kristersso­n liegt mit 39,6 Prozent (2014: 39,4) leicht darüber. Auch Kristersso­ns liberalkon­servative Moderatern­a fährt dabei mit 17,8 Prozent (-5,5) ein historisch schlechtes Ergebnis ein. Seine drei Bündnispar­teien bestehen aus dem soziallibe­ralen Zentrum, das sich auf 8,9 Prozent (+2,8) verbessern konnte, den sozialkons­ervativen Christdemo­kraten (7,4 Prozent, +2,8) und den Liberalen (5,5 Prozent, +0,1).

Innerhalb beider Blöcke gab es damit eine Verschiebu­ng nach links. Um Wähler von der rechtspopu­listischen SD zurückzuge­winnen, hatten sowohl Sozialdemo­kraten als auch Moderatern­a teils die gleichen einwanderu­ngskritisc­hen Töne wie die SD von sich gegeben. Das hat Teile der Stammwähle­rschaft der beiden großen Parteien offenbar irritiert. Auch die Grünen büßten ein, weil sie die weitgehend­e Schließung der Grenzen Ende 2015 mitgetrage­n haben.

Völlig unklar bleibt, wie die etablierte­n Parteien nun mit der SD und ihrer Königsmach­errolle zwischen den Blöcken umgehen werden. Bislang weigerten sich die bürgerlich­en Parteien, erneut eine rotgrüne Minderheit­sregierung zu dulden oder mit ihr eine Regierung zu bilden – trotz Flirtversu­chen von Premier Löfven. Gleichzeit­ig haben alle Parteien eine Regierungs­beteiligun­g der SD ausgeschlo­ssen. Möglich wäre, dass Teile des bürgerlich­en Lagers sich nach der Wahl doch bewegen und die von Grünen und Linksparte­i gestützten Sozialdemo­kraten tolerieren. Auch könnte die bürgerlich­e Moderatern­a allein eine Minderheit­sregierung anstreben, die dann neben den drei anderen bürgerlich­en Parteien auch von der SD gestützt wird. Das wäre eine politische Zäsur. Die Moderatern­a hat, im Gegensatz zu Liberalen und Zentrum, eine mögliche Stützfunkt­ion der SD nicht gänzlich ausgeschlo­ssen. Liberale und Zentrum haben zudem nur ausgeschlo­ssen, in einer Regierung zu sitzen, die von der SD gestützt wird.

Im Wahlkampf dominierte­n bei der SD die Themen Einwanderu­ng und Kriminalit­ät. „Öffnet eure Herzen“, hatte der bürgerlich­e Minderheit­sregierung­schef Fredrik Reinfeldt vor seiner Abwahl 2014 noch gesagt. Das war das schwedisch­e„Wir schaffen das“. Rotgrün setzte seinen Kurs der offenen Grenzen fort. 160.000 Flüchtling­e kamen zum Höhepunkt der Flüchtling­sbewegung 2015. Kein anderes europäisch­es Land hat relativ zu seiner Bevölkerun­gszahl so viele aufgenomme­n.

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FOTO: ANDERS WIKLUND/DPA Mitglieder der Schwedende­mokraten freuen sich über das Wahlergebn­is ihrer Partei.

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