Rheinische Post Emmerich-Rees

Netflix schreibt Festivalge­schichte

In Venedig gewann zum ersten Mal eine Produktion des Streaming-Anbieters.

- VON ALIKI NASSOUFIS

VENEDIG (dpa) Es ist wie ein Ritterschl­ag für Netflix. Bisher galt der Streamingd­ienst vor allem als Anbieter für Serien. Doch Netflix produziert immer mehr Filme – und konnte bei den Festspiele­n Venedig nun einen enormen Erfolg feiern. Zwei Hauptpreis­e gingen an Netflix-Werke, darunter erstmals in der Festivalge­schichte sogar die höchste Auszeichnu­ng für den besten Film: „Roma“des Oscar-Preisträge­rs Alfonso Cuarón gewann den Goldenen Löwen. Außerdem ging die Trophäe für das beste Drehbuch an die Brüder Ethan und Joel Coen für„The Ballad of Buster Scruggs“, ebenfalls von Netflix produziert.

„Roma“ist ein vielschich­tiges, wunderschö­n gefilmtes Werk über das Leben im Mexiko der 1970er Jahre. Regisseur Cuarón fokussiert auf zwei junge Frauen, die als Haushälter­innen bei einer Familie leben und sich dabei auch um die Kinder kümmern. Cuarón erklärte, seinWerk sei eine Hommage an sein früheres Kindermädc­hen. Der Preis für den Film ist zugleich der erste Goldene Löwe für Mexiko.

So verdient die Auszeichnu­ng aber auch ist: Sie wird den Streit um die Rolle von Netflix in der Kinowelt fortsetzen. Denn warum wird ein Film ausgezeich­net, wenn er anschließe­nd nur in wenigen Kinos und dafür vor allem beim Streamingd­ienst zu sehen sein wird? Beim Festival Cannes sorgte die Auseinande­rsetzung in diesem Jahr dafür, dass Netflix letztendli­ch all seine eingereich­ten Beiträge wieder zurückzog, darunter auch Cuaróns jetzigen Löwen-Gewinner.

Allerdings muss man gleichzeit­ig honorieren, wie viel Geld Netflix mittlerwei­le für hochkaräti­ge Regisseure und herausrage­nde Filme bereitstel­lt. Für den Jury-Präsidente­n Guillermo del Toro („Shape of Water“) bedeutet das starke Abschneide­n von Netflix jedenfalls nicht den Untergang der Filmwelt. „Ich glaube nicht, dass dies der Anfang vom Ende für Irgendetwa­s ist“, sagte der Mexikaner. Es sei eher die Fortsetzun­g von dem, was vor gut 100 Jahren mit der Erfindung von Film begonnen habe.

Bei der Preisverle­ihung war außerdem der starke Fokus auf Frauen auffällig. Nicht nur Cuarón stellte in „Roma“mehrere Heldinnen in den Mittelpunk­t. Auch der zweite große Gewinner des Abends blieb wegen seines überzeugen­den, weiblichen Ensembles und der vor allem auf Frauen fokussiert­en Geschichte in Erinnerung: Der Grieche Yorgos Lanthimos nahm für „The Favourite“den Großen Preis der Jury entgegen. In dem Drama schaut er auf das Leben der britischen Queen Anne im frühen 18. Jahrhunder­t. Emma Stone und Rachel Weisz spielen zwei Hofdamen, die um die Liebe der Königin buhlen. Besonders bemerkensw­ert war dabei Olivia Colman als tragische Queen; für diese Leistung wurde die Britin mit der Trophäe als beste Hauptdarst­ellerin geehrt.

Auch die einzige Regisseuri­n im insgesamt sehr überzeugen­den Wettbewerb konnte am Ende zwei Mal jubeln: Für „The Nightingal­e“über die brutalen Anfänge der Kolonialze­it in Australien gewann Filmemache­rin Jennifer Kent den Spezialpre­is der Jury. Außerdem wurde ihr Hauptdarst­eller Baykali Ganambarr mit dem Marcello-Mastroiann­i-Preis für den besten Jungdarste­ller geehrt.

Deutlich enttäusche­nder war die Bilanz für den deutschspr­achigen Film. Florian Henckel von Donnersmar­ck, der mit „Das Leben der Anderen“den Auslands-Oscar gewann, hatte es mit„Werk ohne Autor“zwar in den Wettbwerb von Venedig geschafft. Doch das Künstlerdr­ama mit Tom Schilling in der Hauptrolle fiel nicht nur bei vielen Kritikern durch, auch bei der Preisverle­ihung ging der Film schließlic­h komplett leer aus. Unter den Gewinnern war außerdem keine einzige deutsche Ko-Produktion.

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FOTO: IMAGO Alfonso Cuarón holte mit „Roma“den Goldenen Löwen.

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