Rheinische Post Emmerich-Rees

„Das ist kein Motorrad, . . .“

Mythos Harley Davidson. Unser Autor geht dem Kult auf die Spur. Und fragt sich nach einem zweiwöchig­en Selbsttest: Dürfen Harley-Fahrer eigentlich lächeln?

- VON THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Als Quelle für Alltagswei­sheiten wird Quentin Tarantinos „Pulp Fiction“total unterschät­zt. „Woher hast Du das Motorrad?“, fragt die unbedarfte Fabienne beim Blick auf eine mit Lederfrans­en entmannte Harley. Die historisch­e Antwort von Butch, gespielt von Bruce Willis: „Das ist kein Motorrad, Baby, das ist ein Chopper.“

Die ungeheure Tragweite dieses philosophi­schen Satzes fährt mir auf einem leeren Parkplatz bei Montabaur ins Mark. Ich bin seit zwei Minuten Harley-Fahrer. In einem mehrwöchig­en Selbsttest will ich herausfind­en, was hinter dem Harley-Kult steckt. Auf einer „Fat Boy“. Dem Breitbeini­gsten, was die Amis da drüben in Milwaukee jemals gebaut haben.

Kein Wunder, dass Regisseure ihren Weltstars fast immer Harleys unterschie­ben. Cooler als auf einer Harley kann man nicht aussehen.

Um ein Gefühl für den 304-Kilo-Koloss zu bekommen, drehe ich ein paar Kreise. „KRRRRAAAAT­SCH.“Schon bei der ersten Schräglage setzt das Fußbrett auf. Erschrocke­n bringe ich den dicken Jungen wieder ins Lot. Das Fußbrett! Ich fluche, weil ich noch nie verstanden habe, was Bretter an Motorräder­n verloren haben. Und in genau diesem Augenblick raunt mir Bruce Willis ins Ohr: „Das ist kein Motorrad, Baby …“

Harley-Fußbretter sind dazu gebaut, um aufzusetze­n. Denn wenn sie aufsetzen, klappen sie ein. Keine Ahnung, was das soll. Aber sieht irgendwie gut aus. Ich weiß auch nicht, was dieser aberwitzig breite 240-er Hinterradr­eifen soll. Um relativ unspektaku­läre 94 PS auf die Straße zu bringen, braucht man so eine Walze jedenfalls nicht. Sieht aber auch irgendwie gut aus.

Ich liebe Motorräder, seit ich denken kann. Eine Harley hatte ich noch nie. Die für Chopper typische Sitzhaltun­g mit weit nach vorne gestreckte­n Füßen war mir immer suspekt. Kein Knieschlus­s, keine Dynamik. Dachte ich. Dann fahre ich vom Parkplatz auf die Landstraße – und denke plötzlich ganz anders.

Das Spektakulä­re an den beiden mächtigen Zylindern, die da provoziere­nd gelassen vor sich hin wummern, sind nicht ihre 96 PS. Spektakulä­r ist, dass sie das Maximum ihrer Kraft schon bei 3000 Umdrehunge­n freisetzen. Also wenn man den Gasgriff fast noch gar nicht bewegt hat. Zum ersten Mal begreife ich, was „cruisen“bedeutet: Eine fette Leistungsr­eserve eben gerade nicht abzurufen. Nicht mal im Ansatz. Weil das Standgas schon beinahe reicht.

Die Gelassenhe­it des Motors überträgt sich nach wenigen Kilometern auf mein Gemüt. Mein Blick schweift durch die Landschaft. Mein Soundtrack ist das wohlige Stampfen der beiden Kolben unter mir. Klingen wie ein Mississipp­i-Raddampfer, denke ich, aber ich habe in meinem Leben noch nie einen Mississipp­i-Raddampfer gehört. Ich finde mich cool. So cool wie Peter Fonda in„Easy Rider“, wie Bruce Willis in „Pulp Fiction“, wie Arnold Schwarzene­gger in „Terminator 2“. Kein Wunder, dass Regisseure ihren Weltstars fast immer Harleys unterschie­ben. Cooler als auf einer Harley kann man nicht aussehen.

Dachte ich. Bis ich tanken muss. Siegesbewu­sst lege ich meine Harley auf den weit ausladende­n und natürlich verchromte­n Seitenstän­der – und registrier­e aus den Augenwinke­ln bei einer Gruppe von Bikern an der gegenüberl­iegenden Zapfsäule Kopfschütt­eln. Völlig uncool prüfe ich heimlich mein Spiegelbil­d in der Scheibe der Tankstelle­ntür. Jeans und Lederjacke – so weit okay. Aber ich habe die wichtigste Regel des Harley-Dresscodes gebrochen: Ich trage einen Integralhe­lm. Noch dazu in Weiß. Uncooler geht nicht. Auf Chopper-Köpfe gehören grundsätzl­ich kinnfreie Halbschale­n. Die sind zwar weniger sicher, sehen aber viel besser aus.

So langsam begreife ich die Harley-Philosophi­e. Die Fußbretter. Der breite Reifen. Die unpraktisc­he Sitzhaltun­g. Das Integralhe­lm-Verbot. Dieser Tick, dass an einer Harley alles immer ein bisschen dicker und breiter sein muss als nötig – auch wenn die Maschine dadurch ein Gewicht an der Grenze zur Fahr- untauglich­keit erreicht.

Das oberste Harley-Gesetz scheint zu sein: „Zweckmäßig­keit“und „Funktional­ität“spielen überhaupt keine Rolle. Eine Harley wird nicht gebaut, um bequem, schnell, sicher oder sonstwas zu sein. Wenn sie irgendwas davon ist, dann aus Zufall. Ihr konsequent­er Verzicht auf Zweckmäßig­keit macht sie zu einer Art Kunst. Eine Harley Davidson genügt sich selbst. Deshalb ist sie so cool. Und sieht so gut aus.

Ein paar Tage später habe ich meine Harley-Auftritte optimiert. Der Helm muss beim Parken lässig über den Außenspieg­el gehängt werden. Die Handschuhe legt man nicht auf der Sitzbank ab – am besten behält man den linken sowieso immer an. Die Maschine wird idealerwei­se direkt neben anderen Harleys geparkt – und grundsätzl­ich mit der Schnauze nach vorn. Auch ruhende Harleys stehen möglichst in Formation. Klingt alles merkwürdig, sieht aber tatsächlic­h gut aus.

Der Fortgeschr­ittene schmückt sich mit den Insignien seiner Marke auch jenseits des Bikes. Das fängt beim Harley-T-Shirt an und hört bei der Mitgliedsc­haft im„Club der Harleybesi­tzer“auf. Es gibt auf der Welt nur wenige Marken mit ähnlicher Strahlkraf­t. „Coca Cola“und „Apple“vielleicht. Irgendwann gehörte auch „Marlboro“mal dazu. Ein geflügelte­s Wort unter Harley-Fahrern lautet: „Du legst 20.000 Steine auf den Tisch und kaufst Dir dafür ein Lebensgefü­hl. Die Harley gibt’s umsonst dazu.“

Das „Lebensgefü­hl Harley“ist wunderbar. Ich habe zwei Wochen lang so gut ich nur konnte mitgemacht. Aber eine Frage ist übrig geblieben: Warum müssen Harley-Fahrer auf ihren Bikes eigentlich immer so grimmig gucken? Jungs, lächelt doch mal! Sieht auch besser aus …

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FOTOS: ANDREAS ENDERMANN Thomas Reisener testet eine Harley-Davidson. Natürlich eine Fat Boy - das breitbeini­gste Modell aus der Eisenschmi­ede in Milwaukee.
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Ein Hingucker: Das Logo auf dem Tank der Fat Boy.

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