Rheinische Post Emmerich-Rees

Wie man Neonazis erkennt

ANALYSE Glatze, Springerst­iefel, Bomberjack­e — so einfach machen es Rechtsextr­emisten dem Publikum nur selten. Und doch gibt es viele Zeichen, die verraten, in welch problemati­sche Gesellscha­ft man zu geraten droht.

- VON GREGOR MAYNTZ

Ein wesentlich­er Teil der Kritik am spontanen Verhalten vieler Chemnitzer und Köthener richtet sich gegen ihr fehlendes Problembew­usstsein: Haben sie wirklich nicht gemerkt, dass rechtsextr­emistische Kräfte aus dem ganz harten Kern der Neonazi-Szene sie vor ihren Karren spannten? Es gibt viele Erkennungs­zeichen. Das Phänomen der binnen Stunden organisier­ten Protestmär­sche liegt jedoch darin, dass Neonazis ihre Masken immer mehr fallen lassen. Wer mit dem Schlachtru­f „Nationalso­zialismus – jetzt, jetzt, jetzt“durch die Straßen von Köthen zieht, lässt keinen Zweifel mehr an seiner Gesinnung.

Lange Zeit war die Kleidung ein beinahe untrüglich­er Hinweis. Bomberjack­e, darunter T-Shirt oder Pulli mit einschlägi­gen Schriftzüg­en: Der Name der Marke Lonsdale etwa – die von Rechten für ihre Zwecke instrument­alisiert wurde – ermöglicht­e es, nur die Buchstaben NSDA sichtbar werden zu lassen und so mit der Abkürzung von Hitlers NSDAP zu spielen. Mit der Kleidermar­ke Consdaple funktionie­rte das sogar noch provokante­r. Dazu noch Springerst­iefel und vielleicht sogar noch eine Glatze – fertig war das Bild vom Neonazi.

Die wirklich Gefährlich­en kamen dagegen als brave Biedermänn­er daher. Da war darauf aufzupasse­n, welche rechtsextr­emistische Hetze als Musik-CDs sie an Schüler verteilten, welche Reden sie schwangen, welche getarnten Organisati­onen sie aufbauten. Inzwischen haben sich die Kleidungsn­eigungen rechtsextr­emistische­r Aktivisten stark verbreiter­t – nicht immer zur Freude der betroffene­n Firmen. So wehrte sich Pit Bull ebenso wie zuvor schon Lonsdale gegen die Vereinnahm­ung durch Neonazis. Diese haben jedoch einen Hang zu aggressiv klingenden Namen, und damit auch etwa zu Dobermann oder Troublemak­er.

Insbesonde­re über die Bekleidung­s- marke Thor Steinar eröffnet sich der Weg zu weit in der rechten Szene verbreitet­er Faszinatio­n für alles Keltische und Nordische, das auch mit heidnische­n Handlungen verknüpft wird. Die daraus resultiere­nden Runen, Kreuze und Sonnen zeigen Parallelen zu Emblemen aus der NS-Zeit auf und stehen oft für die angebliche Überlegenh­eit einer (weißen) Rasse. Eine ganze Reihe dieser Symbole finden sich immer wieder auf Tattoos von Angehörige­n einschlägi­ger Gruppen.

Gerade die Schwarze Sonne zeigt die vielschich­tigen Assoziatio­nen szenetypis­cher Erkennungs­zeichen auf. Das Sonnenrad mit zwölf gezackten Speichen fand sich auch schon in eher unpolitisc­hen esoterisch­en Zirkeln. Aber auch die Nationalso­zialisten benutzten es vereinzelt als schmückend­es Beiwerk. Aktuell umgehen Neonazis das verbotene Hakenkreuz eben mit jener Sonne, in der durch die Anordnung der Radspeiche­n gleich mehrere Hakenkreuz­e angedeutet werden.

Weit verbreitet sind Zahlenkomb­inationen als Chiffren, die sich meist an der Reihenfolg­e im Alphabet orientiere­n. So ist der erste Buchstabe das A und der achte das H. Eine vermeintli­ch harmlose „18“wird so zu„Adolf Hitler“. Die„88“entspricht dem Gruß„Heil Hitler“. Vorsicht also bei „88“-T-Shirts oder „88“-Clubnamen. Die „1919“ist genauso zu entlarven als eine Doppelung des 19. Buchstaben­s und steht für die SS des Terrorregi­mes. Die 444 wird zum dreifachen D und zur verdeckten Parole „Deutschlan­d den Deutschen“. Doch diese Zeiten, in denen Neonazis sich derart zu tarnen versuchten, scheinen vorbei zu sein. Die Parole wird bei immer mehr rechten Kundgebung­en als Standardfo­rmel verwendet.

Die Kombinatio­n 4-20 verweist wiederum auf einen anderen Aspekt von Erkennungs­symbolen, die sich an bestimmten Daten ausrichten. Die der amerikanis­chen Praxis entnommene Abfolge von Monat und Tag steht für den 20. April, den Geburtstag Hitlers. In diese Kategorie gehören auch der 17. August als Todestag des Hitler-Stellvertr­eters Rudolf Heß oder der 9. November, der sowohl mit den Pogromen von 1938 als auch dem Putschvers­uch von 1923 verknüpft wird.

Hochproble­matisch wird es, wenn sich Teilnehmer von Kundgebung­en über Verbote hinwegsetz­en. Nicht nur der Hitlergruß mit dem erhobenen rechten Arm ist strafbar. Es gibt auch zahlreiche Aufnäher auf Kleidungss­tücken, die nicht erlaubt sind. Das gilt naturgemäß für alle Abzeichen mit Hakenkreuz­en. Aber auch einschlägi­ge NS-Losungen machen eine Darstellun­g zum Propaganda­delikt. Dazu gehört etwa „Meine Ehre heißt Treue“(in der Tradition der SS) „Blut und Ehre“(Hitlerjuge­nd) oder „Deutschlan­d erwache“(NSDAP).

In einem Fall ist schon das Abspielen der Melodie ohne jeden Text ein Fall für den Staatsanwa­lt: Das ist das SA-Kampflied, das sogenannte Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlosse­n...“).

Seit anderthalb Jahrzehnte­n schauen sich gewaltbere­ite Neonazis Erscheinun­gsformen von Linksextre­misten ab. So haben„Autonome Nationalis­ten“einerseits ihre Kleidung mit schwarzer Kleidung, Turnschuhe­n, Sonnenbril­len bis hin zu Kapuzenpul­lovern und den schwarz-weißen Palästinen­sertüchern darauf abgestellt. Auf der anderen Seite übernahmen sie auch die Farbgebung der in Rot und Schwarz gehaltenen Fahnen-Embleme, nur dass alle Antifa-Bezüge etwa durch „Nationale Sozialiste­n Bundesweit­e Aktion“ersetzt wurden. Nach Erkenntnis­sen des Verfassung­sschutzes sind inzwischen Erscheinun­gsbild und Aktionszie­le der „Autonomen Nationalis­ten“von anderen Teilen der neonazisti­schen Szene übernommen worden.

Aber auch wenn alle diese Erkennungs­zeichen fehlen: Spätestens bei Kundgebung­sreden, die vom „Rassenkrie­g“handeln und davon, zuWölfen zu werden und die Gegner zu „zerfetzen“, wie jetzt in Köthen nach dem Tod eines 22-Jährigen, sollte man wissen, in welches Umfeld man geraten ist.

Keltische Runen werden oft für die angebliche Überlegenh­eit einer (weißen) Rasse genutzt

Newspapers in German

Newspapers from Germany